Die Akte Golgatha
sie bewusst über Nebensächlichkeiten geplaudert hatten, wurde Gregor plötzlich ernst. Natürlich war Francesca nicht entgangen, dass Gropius irgendetwas auf der Seele lag; aber sie hatte es vorgezogen zu schweigen. Mittlerweile kannte sie Gregor ein wenig und wusste, er würde schon reden, wenn er es für angebracht hielt. Dass er über seine Israelreise bisher kein Wort verloren hatte, machte sie nachdenklich. Doch dann sagte Gropius: »Komm, wir gehen auf mein Zimmer. Im Kühlschrank steht eine Flasche Brunello di Montalcino. Ich muss mit dir reden.«
Ihr erster Gedanke galt der Unterwäsche, die sie trug, und der Frage, ob diese der Situation gerecht würde. Francesca trug schwarze Spitze von ›La Perla‹, die an und für sich die Grenze ihrer finanziellen Belastbarkeit überstieg; aber seit dem Tod ihres Mannes hatte sie in dieser Hinsicht Nachholbedarf.
Im Zimmer angekommen, legte Francesca die Arme um Gregors Hals und fragte: »Hat dir eigentlich Signora Schlesinger unsere gemeinsame Nacht schon verziehen?«
Gregor schien irritiert. »Du weißt genau, da gab es nichts zu verzeihen!«
»Eben das meine ich ja! Hat sie oder hat sie nicht?«
Gregor schüttelte den Kopf. »Wir haben seitdem nicht mehr miteinander gesprochen.«
»Oh, das tut mir Leid!«
Gropius hatte das Gefühl, dass sie sich über ihn lustig machte. Dabei war ihm überhaupt nicht nach Scherzen zumute. Er wollte, er musste ihr erklären, was er von Yussuf erfahren hatte. Sanft, aber mit Nachdruck löste er sich aus ihrer Umarmung und bot ihr einen Platz an.
Francesca stutzte. Mit großen Augen sah sie zu, wie Gregor die Weinflasche entkorkte und zwei langstielige Gläser füllte.
Wortlos und mit ernstem Gesicht zog Gropius ein paar Fotos aus der Jackentasche und hielt sie Francesca entgegen. »Das ist Schlesingers Entdeckung, die Entdeckung, die ihn zu einem reichen Mann gemacht hat und hinter der auch heute noch gewisse Leute her sind wie der Teufel hinter der armen Seele. Und wahrscheinlich steht der Tod Schlesingers, de Lucas, ja sogar der Tod deines Mannes damit in Verbindung.«
Francesca betrachtete ein Foto nach dem anderen. Gropius' Erzählung traf sie so unerwartet, dass sie keine Worte fand. Nun gut, ein Steintrog mit Knochen und eine unleserliche, in Stein gemeißelte Inschrift!
Aber welcher Zusammenhang sollte zwischen dieser Ausgrabung und dem Tod ihres Mannes bestehen?
Gropius erkannte Francescas Ratlosigkeit und fuhr fort: »Das ist nicht irgendein Fund, nicht irgendein Skelett, das sind die Gebeine des Jesus von Nazareth!«
»Ach ja?« Francesca lachte verlegen, erst zaghaft, dann immer heftiger, und schließlich krümmte sie sich vor Lachen wie ein übermütiges Kind.
Gregor, der sich nicht ernst genommen fühlte, packte Francesca an den Schultern und schüttelte sie, um sie zur Besinnung zu bringen.
»Entschuldige, Gregor«, rief sie, noch immer außer sich, »dieser Herr Jesus ist doch angeblich von den Toten auferstanden und so wie er war in den Himmel aufgefahren. Oder irre ich mich da? Wie kann Schlesinger dann seine Knochen finden?«
»Genau das ist das Problem. Hätte Schlesinger einen Beweis gehabt für seine Behauptung, dann hätten die hohen Herren im Vatikan ihr Tafelsilber verscherbeln und Sozialhilfe beantragen müssen. Das Unternehmen Kirche wäre zusammengebrochen wie die Aktien der Telekom.«
»Mein Gott!« Langsam, ganz allmählich kam Francesca der Ernst der Situation zu Bewusstsein, und sie begann Gregors Unruhe zu begreifen. Während sie nachdachte, schlug sie die Hände vors Gesicht. »Aber Schlesinger musste einen Beweis für seine Annahme haben!«, rief sie plötzlich. »Sonst hätte man ihn nicht umgebracht.«
»Ganz recht«, stimmte ihr Gropius zu. »Und es muss noch mehr Mitwisser gegeben haben, de Luca, Sheba Yadin und Yussuf, ein Palästinenser, der mir diese Bilder verkauft hat.«
»Fragt sich, warum Schlesinger und de Luca sterben mussten, während andere noch am Leben sind. Felicia Schlesinger zum Beispiel, oder du.«
Gregor legte die Stirn in Falten. »Vielleicht kennen wir alle nur die halbe Wahrheit. Oder wir tragen unwissentlich ein Wissen mit uns herum, das den Auftraggebern der Morde noch von Nutzen sein kann.«
»Das betrifft vor allem Sheba Yadin.«
»Vor allem Sheba Yadin. Es ist denkbar, dass die Stoffprobe aus de Lucas Institut, für die Schlesinger immerhin vierzigtausend Euro zu zahlen bereit war, genau jenes Beweisstück ist, mit dem Schlesinger die Identität
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