Die Akte Golgatha
des Jesus von Nazareth beweisen konnte. Allerdings kann ich mir das nur schwer vorstellen.«
Francesca starrte ins Leere und überlegte, und Gropius dachte an ihre erste Begegnung, damals in Berlin. Schon damals hatte ihn ihre Kühle, die Strenge in ihrem Gesichtsausdruck fasziniert. Jetzt sah sie genauso aus, als sie leise sagte: »Gregor, hast du eigentlich schon einmal darüber nachgedacht, warum Arno Schlesinger sich ausgerechnet in Turin aufgehalten hat?«
Gropius sah Francesca lange an. »Wegen Luciano de Luca, nehme ich an, und weil sein Institut einen guten Namen hat!«
Francesca schüttelte den Kopf. »Es gibt in Europa zahlreiche Institute, die auf derartige Analysen spezialisiert sind. Das kann der Grund nicht gewesen sein. Und was de Luca betrifft …«
»Ich weiß wirklich nicht, worauf du hinauswillst«, unterbrach sie Gropius.
»Das will ich dir sagen. In Turin wird das einzige greifbare Objekt aufbewahrt, das – so man daran glauben will – in einer direkten Beziehung zu Jesus steht …«
»Das Turiner Grabtuch!« Gropius schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Aber das ist doch Humbug!«
»Darüber streiten sich ernst zu nehmende Wissenschaftler seit hundert Jahren. Die einen wollen wissen, dass vor zweitausend Jahren die Leiche eines Mannes in das Tuch eingewickelt wurde, andere behaupten, es handle sich um eine raffinierte Fälschung und im Übrigen sei es unmöglich, seine Echtheit jemals zu beweisen. Sogar die Kirche, die an der Echtheit das größte Interesse haben müsste, beharrt nicht mehr darauf, dass Jesus in dem Tuch bestattet wurde. Es gibt da nämlich gewisse Probleme!«
»Du sprichst wie ein Fachmann auf diesem Gebiet. Woher beziehst du dein Wissen?«
Francesca lachte. »Jedes Kind in Turin weiß, noch bevor es lesen und schreiben kann, über zwei Dinge Bescheid, über FIAT und das Turiner Grabtuch. Unter uns gesagt: Viel mehr braucht man auch nicht zu wissen.«
Der Brunello mundete vorzüglich, und Gropius drehte das Weinglas in seinen Händen. »Eines verstehe ich nicht«, meinte er, nachdenklich in das Funkeln des Rotweins vertieft, »wenn das Grabtuch nicht einmal von der Kirche für echt angesehen wird, warum sollte Schlesinger für eine Stoffprobe dieser Fälschung dann vierzigtausend Euro bezahlen? Nach allem, was ich über Schlesinger in Erfahrung gebracht habe, war er wirklich kein Dummkopf. Er galt als führender Kopf auf dem Gebiet der Bibelarchäologie. Man kann davon ausgehen, dass er über die Zusammenhänge zwischen diesem ominösen Leintuch und dem Jesus von Nazareth besser Bescheid wusste als jeder andere. Umso rätselhafter erscheint mir sein Vorgehen.«
»Stimmt. Als Fachmann auf seinem Gebiet wusste er ganz genau, was de Lucas Stoffprobe wert war. Also kann es sich nicht um ein Teilchen des Turiner Grabtuches handeln. Der Professore muss Schlesinger etwas anderes zum Kauf angeboten haben, das für ihn außerordentliche Bedeutung hatte.«
Die Gelassenheit und kühle Überlegung, mit der Francesca an die Sache heranging, imponierten Gropius. Er selbst war aufgeregt, ja aufgewühlt angesichts der Tragweite und Dimension, die das Geschehen, in das er sich mit einem Mal verwickelt sah, angenommen hatte. Die Frage, wofür Schlesinger dem Professore so viel Geld geboten haben könnte, trieb ihn schier zur Verzweiflung. Er war kaum in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen, und trank sein Glas in einem Zug leer.
Längst hatte Francesca seine Unsicherheit bemerkt, seine Zweifel, ob er den richtigen Weg eingeschlagen hatte, und die Ratlosigkeit, was das weitere Vorgehen betraf. Und obwohl sie sich große Hoffnungen gemacht hatte, war ihr klar, dass sie vorerst jeden Annäherungsversuch unterlassen musste. Sie hatte Gregor noch lange nicht aufgegeben. Im Gegenteil, die unerfüllte Leidenschaft hatte ihre Absichten noch mehr gestärkt, und in gewisser Weise genoss sie sogar den besonderen Reiz, der von dieser Situation ausging.
»Was willst du jetzt tun?«, fragte sie, nur um das lange Schweigen zu überbrücken; jedenfalls erwartete sie keine konkrete Antwort.
Umso erstaunter zeigte sie sich, als Gregor mit fester Stimme verkündete: »Morgen Früh werde ich das Geld besorgen. Was dann folgt, ist deine Aufgabe. Du gehst mit dem Geld in das Institut de Lucas, sagst, dein Name sei Sheba Yadin, und lässt dir das geheimnisvolle Stück Stoff aushändigen.«
»Du meinst wirklich?« Gregors plötzlicher Entschluss überraschte Francesca. Aber das
Weitere Kostenlose Bücher