Die Akte Golgatha
war. Eine rätselhafte Geschichte, hinter der die Polizei und auch ich zunächst die Organmafia vermuteten. Doch im Laufe der Recherchen, die ich selbst anstellte, kam heraus, dass Schlesinger im Besitz einer archäologischen Sensation war, die für gewisse Interessengruppen große Bedeutung hatte. Schlesinger hatte eine Geliebte, Sheba Yadin, und wie es scheint, wusste diese Geliebte von dem archäologischen Geheimnis. Um Licht in das Dunkel dieses Falles zu bringen, verfolgte ich Sheba Yadin nach Turin, wo sie im Institut des Professore de Luca eine DNA-Analyse abholen wollte. Die DNA sollte zwanzigtausend Euro kosten.«
Die Augen theatralisch zur Decke gerichtet, hatte Pasquale Felici Gropius' Rede verfolgt. Jetzt meinte er mit ironischem Unterton: »Und woher wissen Sie das alles so genau, Professore?«
»Ich beschäftige mich seit vier Monaten mit nichts anderem als mit diesem Fall!«
»Verstehe. Aber sind zwanzigtausend Euro nicht etwas viel für eine Genanalyse?«
»Natürlich, doch wie ich schon sagte, ging es um eine archäologische Sensation.«
Der Avocato setzte ein überlegenes Grinsen auf und sagte: »Vermutlich glaubte Schlesinger, die Gebeine des Jesus von Nazareth gefunden zu haben.«
Überrascht sah Gropius dem Avocato ins Gesicht. Felici schien völlig ruhig, sein hinterhältiges Lächeln wirkte wie eingefroren. Es war unmöglich, daraus irgendwelche Schlüsse zu ziehen. Hatte Felici das Undenkbare nur so dahingesagt? Oder wusste er mehr? Wusste er vielleicht sogar alles?
»Warum reden Sie nicht weiter?«, fragte der Avocato nach bedrückenden Augenblicken, in denen beide schwiegen.
Gropius war verunsichert. Wie sollte er reagieren? Dann antwortete er mit einer Gegenfrage: »Und wenn es so wäre? Ich meine, wenn Schlesinger wirklich die Gebeine von Jesus entdeckt hätte?«
Felici nickte vor sich hin und dachte nach. Schließlich erwiderte er: »Er wäre nicht der Erste, der diesem Irrtum erliegt. Wissen Sie, man kann in einen Steinsarkophag viele Namen meißeln. Und unter uns gesagt: Die frühen Christen nahmen es in ihrer Ratlosigkeit mit der Wahrheit nicht sehr genau. Es ist durchaus möglich, dass ein Mann im ersten oder zweiten Jahrhundert einen Steinsarg mit dem Namen Jesus fälschte und als das Original ausgab. Wer will das wissen? Und wer will wissen, ob nicht weitere hundert Jahre später die Knochen eines anderen hineingelegt wurden? In diesem Fall hätte alles eine einfache Erklärung.«
Felicis Worte klangen auf seltsame Weise wie auswendig gelernt, so als hätte er sich auf diese Diskussion vorbereitet. Allmählich gewann Gropius den Eindruck, als sähe der Avocato seine Aufgabe weniger darin, ihn aus der Untersuchungshaft zu befreien als darin, ihn von weiteren Nachforschungen abzuhalten. Das machte ihn wütend, und er erwiderte: »Dabei haben Sie nur eines übersehen, Dottore, die Naturwissenschaften sind heute bereits so weit fortgeschritten, dass es ohne weiteres möglich wäre, die Knochen des Jesus von Nazareth zweifelsfrei zu identifizieren, vorausgesetzt, es stünde ein Bezugsobjekt zur Verfügung, also irgendetwas, von dem zweifelsfrei feststeht, dass es Jesus zugeordnet werden kann. Der Bruchteil eines Gramms würde genügen, um Klarheit zu schaffen.«
»Ich weiß, woran Sie denken, Professor Gropius, an das Turiner Grabtuch.«
»Auf dem Grabtuch befinden sich angeblich Blutspuren, und wenn die DNA der Knochen und jene der Blutspuren in dem Grabtuch übereinstimmten, wäre der Beweis erbracht, dass Jesus von Nazareth zwar gestorben, aber keinesfalls in den Himmel aufgefahren ist, wie die Kirche behauptet. Ich glaube, Sheba Yadin wusste das, und deshalb musste sie sterben – genau wie Schlesinger.«
Seltsamerweise zeigte sich der Avocato von Gropius Worten wenig beeindruckt. Gregor hatte erwartet, Pasquale Felici würde ebenso aus der Fassung geraten wie er, als der Palästinenser ihn in Jerusalem mit dieser Entdeckung konfrontierte; doch der Avocato blieb zurückhaltend.
»Sie beschäftigen sich noch nicht lange mit der Problematik um das Turiner Grabtuch«, begann Felici in seiner überheblichen Art.
»Nein. Erst seit ich den Mord an Schlesinger aufzuklären bemüht bin, genießt die Religion bei mir einen gewissen Stellenwert. Aber auch jetzt halte ich es mit Sigmund Freud, der einmal meinte, Religionen seien ihm als Gegenstand wissenschaftlichen Interesses hochbedeutsam, gefühlsmäßig sei er an ihnen jedoch nicht beteiligt. Warum fragen Sie, Dottore
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