Die Akte Golgatha
Deutschland habe sich um die Gesundheit Seiner Heiligkeit verdient gemacht. Deutsche Ärzte genießen einen hervorragenden Ruf. Aber machen Sie nicht die geringste Andeutung, warum wir ein Interesse haben, dass Gropius freikommt. Und – wir verlangen von Avocato Felici absolute Verschwiegenheit.«
»Absolute Verschwiegenheit«, wiederholte Monsignore Crucitti, »selbstverständlich.«
»Übrigens«, Kardinal Calvi richtete den Zeigefinger zur Decke, »wäre es gut, wenn man dort oben von der Angelegenheit nichts mitbekommt. Sie wissen von der Geschwätzigkeit Seiner Heiligkeit gegenüber ausländischen Diplomaten.«
»Ich verstehe, Eminenza. Wir werden so diskret wie möglich vorgehen. Laudetur, Eminenza, laudetur.«
Gegen zehn Uhr am folgenden Morgen – es könnte auch elf Uhr gewesen sein, denn im Gefängnis geht jeder Zeitbegriff verloren – kam ein Wärter und führte Gropius in ein fensterloses Besprechungszimmer, welches das einzige Tageslicht von einer Reihe Glasbausteine bezog, die eine Handbreit unter der Decke eingemauert waren. Der Fußboden war grau gefliest, die Wände weiß gestrichen und kahl. In der Mitte des Raumes ein Tisch aus Stahlrohr, an den Stirnseiten zwei Stühle aus demselben Material. In der Tür mit einem gläsernen, runden Durchblick, genau gegenüber jener Türe gelegen, durch die Gropius gekommen war, erschien, kaum hatte er auf einem der Stühle Platz genommen, ein elegant gekleideter Mann im anthrazitfarbenen Zweireiher, das dunkle Haar feucht nach hinten gekämmt, in der Hand einen schwarzen Aktenkoffer mit polierten Messingbeschlägen.
Gropius nahm staunend jede Einzelheit der Begegnung in sich auf, weil er zunächst keine Ahnung hatte, worum es eigentlich ging.
»Mein Name ist Dottore Pasquale Felici, ich bin Avocato und beauftragt, Sie hier herauszuholen!«, begann der vornehme Mann in fließendem Deutsch und streckte Gropius die Hand entgegen. Sein Gesicht wirkte starr, beinahe maskenhaft, was durch die schwarze rechteckige Hornbrille, die seine tief liegenden Augen einrahmte, noch verstärkt wurde.
»Gropius!«, erwiderte Gropius die Vorstellung, »Gregor Gropius. Darf ich fragen, in wessen Auftrag Sie für mich tätig werden, Dottore?«
»Das dürfen Sie natürlich«, erwiderte der Avocato geschäftsmäßig, während er seinen Aktenkoffer öffnete und einen Notizblock hervorzog. »Aber erwarten Sie bitte nicht, dass ich darauf antworte. Sie wollen doch hier raus, oder nicht?«
»Ja, natürlich. Mich interessiert nur … Hat Francesca Sie geschickt?«
»Hm.« Felici machte ein mürrisches Gesicht. »Wir haben um 16 Uhr einen Haftprüfungstermin vor Gericht. Um 16 Uhr 30 sind Sie frei, vorausgesetzt, Sie überlassen mir die Aufgabe, Fragen zu stellen. Sie können mir vertrauen.«
Warum eigentlich nicht, dachte Gropius, ein Mann, der dich aus dem Gefängnis holt, kann so übel nicht sein. Warum sollte ich mich dagegen sträuben?
»Also von vorne«, hörte er Felici sagen. »Haben Sie Sheba Yadin ermordet?«
»Um Himmels willen, nein!«, rief Gropius aufs Äußerste erregt.
Der Avocato blieb ruhig. »Wo waren Sie während der Tatzeit, also vorgestern zwischen 15 und 17 Uhr? Gibt es dafür Zeugen?«
»Ich war mit Signora Francesca Colella in einem Café am Corso Belgio. Danach gingen wir zu Fuß in Richtung Stadtzentrum.«
»Gut, sehr gut. Und wer ist diese Francesca Colella, wo wohnt sie?«
»Ich dachte, Sie kämen in ihrem Auftrag, Dottore Felici!«
»Ihre Kombinationsgabe in allen Ehren; aber Sie sollten besser meine Fragen beantworten. Die Zeit wird knapp.«
Also nicht Francesca. Verunsichert nannte Gropius ihren Namen und die Adresse.
Felici notierte seine Angaben. Dann fragte er: »Und in welcher Verbindung standen Sie zu Sheba Yadin?«
Die Frage traf Gropius nicht unerwartet; dennoch musste er an sich halten, um nicht aus der Fassung zu geraten. Sein Gehirn arbeitete fieberhaft, und in Bruchteilen von Sekunden legte er sich eine Strategie zurecht, löchrig und unausgegoren, aber ihm blieb nichts anderes übrig, er musste reden.
»Die Sache ist die«, begann Gropius umständlich und um noch etwas Zeit zu gewinnen: »Ich bin Chirurg, Transplantationschirurg, und bei meiner letzten Operation gab es einen – sagen wir – Zwischenfall. Ein bekannter Archäologe, sein Name ist Arno Schlesinger, starb nach dem routinemäßigen Eingriff, und bei der Obduktion stellte sich heraus, dass das verpflanzte Organ mit einer Pestizidinjektion vergiftet worden
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