Die Akte Golgatha
Felici?«
»Nun ja, ich will Ihnen nicht zu nahe treten, Professore, aber Sie müssten eigentlich wissen, dass es sich bei dem Turiner Grabtuch um eine mittelalterliche Fälschung handelt. Das wird sogar vom Vatikan eingeräumt. Eine im Jahre 1988 vom Forschungslabor des Britischen Museums geleitete und von drei unabhängigen Instituten in Arizona, Oxford und Zürich durchgeführte Radiokarbondatierung wies zweifelsfrei nach, das Grabtuch wurde zwischen 1260 und 1390 gewebt. Sogar unter der Voraussetzung, dass Schlesinger die Knochen des Jesus von Nazareth gefunden hätte, wäre eine Beweisführung also unmöglich.«
Die Worte des Avocato trafen ihn wie ein Schlag auf den Kopf. Felici redete klar und ohne zu stocken, so als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt. Jedenfalls sah Gropius keinen Grund, an seiner Aussage zu zweifeln. Dennoch stellte er ihm die Frage: »Dottore, Sie sind Rechtsanwalt und kein Bibelarchäologe. Woher wissen Sie das alles?«
»Berufsbedingt!«
»Wie darf ich das verstehen?«
»Etwa ein Jahr vor der erwähnten wissenschaftlichen Untersuchung des Grabtuches wurde im Turiner Dom eingebrochen. Die Gangster entwendeten nichts von materiellem Wert. Als man das Grabtuch näher untersuchte, entdeckte man am unteren rechten Rand eine Fehlstelle. Ein handtellergroßer Halbkreis war mit einer Schere herausgeschnitten worden. Die Täter wurden nach wenigen Tagen gefasst. Ihre Beute blieb verschwunden. Es handelte sich um zwei Mafiosi, Enrico Polacca und Guido Focarino, zwei seit Jahren gesuchte Auftragskiller. Der Fall erregte großes Aufsehen, und ich übernahm die Verteidigung der beiden Männer. Aber selbst ich konnte nicht verhindern, dass sie lebenslänglich bekamen. Der Staatsanwalt konnte beiden insgesamt zwei Morde nachweisen. Da fiel die Schnipselei an dem gefälschten Grabtuch kaum ins Gewicht.«
»Und haben die beiden Mafiosi verraten, in wessen Auftrag sie den Einbruch begangen hatten?«
»Mafiosi singen nicht, Professore. Das ist ein eisernes Gesetz. Ich bin überzeugt, es war ein einträgliches Geschäft. Ihre Familien leben wohlversorgt in Vincoli, einem kleinen Ort nicht weit von hier in Richtung Alessandria. Aber das braucht Sie gegenwärtig nicht weiter zu interessieren. Wir sehen uns kurz vor 16 Uhr beim Haftrichter. Ich hoffe nur, Signora Colella kann Ihre Aussage bestätigen, Professore!«
Wie von Dottore Felici vorhergesagt, verließ Gropius um 16 Uhr 30 das Turiner Untersuchungsgefängnis, in seiner Begleitung Francesca, deren Aussage seine Entlassung bewirkt hatte. Der Avocato hatte sich auffallend schnell von ihnen verabschiedet und Gropius' erneute Frage nach seinem Auftraggeber mit einer kurzen Handbewegung weggewischt.
Obwohl seine Gefangenschaft nur einen Tag und eine Nacht gedauert hatte, genoss Gregor Gropius die wiedergewonnene Freiheit. Von Süden her wehte ein lauer Frühlingswind. Hand in Hand gingen Gropius und Francesca die Straße entlang, wo zahlreiche Vespas nach der Winterpause den Verkehr wieder aufnahmen.
»Woran denkst du gerade?« Francesca sah Gregor durch die glitzernden Gläser ihrer randlosen Brille an. »Du bist weit weg mit deinen Gedanken!«
Gregor spürte ihren prüfenden Blick, aber er wollte Francesca nicht ansehen. Während sie schweigsam nebeneinander hergingen, musste er wieder an das denken, was sie ihm gesagt hatte. Er war ihr bis jetzt eine Antwort schuldig geblieben. Ich liebe dich – das war so leicht dahingesagt, mit fester Überzeugung, aber ohne Verpflichtung. Er tat sich schwer mit diesen drei Worten. Das Leben hatte ihn misstrauisch gemacht. Was wusste er schon über Francesca? Dass sie schön war? Dass ihre Unnahbarkeit auf ihn einen eigenartigen Reiz ausübte? Dass er möglichst bald mit ihr schlafen wollte? All das wusste er genau. Was er nicht wusste, war die Antwort auf die Frage: Wer war diese Frau?
»Übrigens«, begann er, »ich danke dir, dass du diesen Avocato Felici engagiert hast.«
»Wie kommst du darauf?«, fragte Francesca überrascht.
»Du kannst es ruhig zugeben, es ist schließlich keine Schande. Selbstverständlich übernehme ich die Kosten.«
Francesca stellte sich Gregor in den Weg. »Pasquale Felici ist einer der teuersten Anwälte Roms. Er verteidigt Exministerpräsidenten, Kardinäle und Pornostars. Sein Honorar würde meine Möglichkeiten vermutlich um ein Vielfaches übersteigen. Ich dachte, du hättest Felici angefordert.«
»Keineswegs.« Gropius schob Francesca zur Seite, und sie
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