Die Akte Golgatha
Zeitungsausschnitte studiert und Notizen gemacht hatten, griff sich Gropius an den Hals und sagte: »Ich kriege keine Luft mehr. Wir sollten gehen. Wenn nötig können wir ja morgen noch einmal herkommen.«
Gregors Bemerkung kam Francesca sehr gelegen. Ihr war die stickige Luft von Bibliotheken und Archiven zuwider.
Auf der Straße fragte sie: »Was willst du jetzt tun, Gregor?«
»Da fragst du noch?«, antwortete Gropius. »Wo liegt eigentlich Zocca?«
K APITEL 15
S ie erreichten Zocca, ein kleines Dorf, das abgelegen in einem Seitental zwischen Asti und Alessandria lag, nach einstündiger Fahrt in Francescas Van. Der Weg hatte sich endlos hingezogen, weil sie die Landstraße nehmen mussten, für Zocca gab es keine Autobahnausfahrt.
Wie in vielen Orten in dieser Gegend lebten in Zocca in der Hauptsache Alte und Frauen, deren Männer in Mailand, Turin oder Alessandria ihrer Arbeit nachgingen und nur am Wochenende ins Dorf zurückkehrten. Ein alter Bauer, der mit dem Traktor sein steiniges Feld bestellte und den sie nach dem Weg fragten, erzählte, früher habe Zocca einmal zweitausend Einwohner gehabt, drei Alberghi und Trattorie, zwei Krämerläden und ein Freilichtkino. Heute gebe es nur noch ein Albergo und eine Trattoria, zum Einkaufen führen die Leute nach Alessandria in den Supermarkt, und vor mehr als zwei Jahren sei im Freilichtkino der letzte Film über die Leinwand geflimmert, ›Titanic‹ – aber nur in einer Kurzfassung. Auf ihre Frage, ob er die Familien Mattei oder Valetta kenne, wurde der gesprächige Bauer auf einmal wortkarg, und er entschuldigte sich, er sei nicht aus Zocca, und startete seinen alten Traktor.
Am Ende des Tales, wo man keine menschliche Siedlung mehr vermutete, hinter einem Hügel, kam plötzlich Zocca ins Blickfeld, nicht gerade malerisch gelegen und von einer Reihe riesiger Hochspannungsmasten eingeengt. Ein Auto, zumal ein fremdes, erregte Aufsehen, und während Francesca ihren Van auf dem Dorfplatz parkte, gingen hier und da geschlossene Fensterläden auf, um sich gleich wieder wie von selbst zu schließen. Auf dem Backsteinpflaster vor der Trattoria, auf die ein Holzschild über dem Eingang hinwies, standen ein paar Plastikstühle um zwei runde Tische herum, und Gropius und Francesca beschlossen, ein Bier zu trinken. Es dauerte auch nicht lange, und eine freundliche, schwarz gekleidete Mama mit dunklen, streng nach hinten gebundenen Haaren trat aus dem Haus und nahm ihre Bestellung entgegen.
Sie schien alle Zeit der Welt zu haben, und als sie nach zehn Minuten das Bier servierte, erkundigte sie sich höflich, was die Gäste nach Zocca führe.
Sie suchten nach einer Familie Mattei, erwiderte Francesca, ob sie die Leute kenne.
Das aber schien der Signora überhaupt nicht zu gefallen, denn ihre bis dahin freundliche Miene verfinsterte sich plötzlich, und sie fragte zurück, was sie von den Matteis wollten.
Am Nebentisch hatte inzwischen ein junger Mann Platz genommen, der sich für ihr Gespräch zu interessieren schien, ohne dass die Signora ihm Beachtung schenkte.
Sie wollten eine Auskunft über einen gewissen Giorgio Mattei, der vor vielen Jahren von einem Gericht in Turin wegen Mordes verurteilt worden sei. Der Mord interessiere sie nicht, aber der Einbruch im Dom von Turin.
Da gab sich die Signora als die Frau des Giorgio Mattei zu erkennen, und von ihr, sagte sie, würden sie nicht ein Wort erfahren. »Drei Euro«, meinte sie mit einem Fingerzeig auf das Bier, dann verschwand sie stampfenden Schrittes im Hauseingang. Der junge Mann am Nebentisch grinste.
Nachdem sie ihr Bier ausgetrunken hatten, ließ Gropius drei Euro auf dem Tisch zurück, und sie begaben sich zu Francescas Wagen.
»Das war eigentlich vorauszusehen«, brummte Gropius vor sich hin. »Es war naiv zu glauben, Matteis Ehefrau würde uns die Hintermänner nennen, die ihren Mann mit dem Einbruch im Dom beauftragt haben.«
»Es war zumindest den Versuch wert«, entgegnete Francesca, und sie redete ein Mädchen an, das gerade auf einem Fahrrad des Weges kam, und erkundigte sich nach den Valettas.
Das Mädchen schickte sie zu einem dreistöckigen Gebäude mit einer Schmiede oder Autowerkstätte im Erdgeschoss, unmittelbar hinter dem Dorfplatz gelegen. Als sie sich dem Haus näherten, vor dem sich verrostete Landmaschinen und alte Autoteile türmten, trat ihnen ein Mann im ölverschmierten Overall entgegen.
Francesca fragte nach Bruno Valetta, sie sei eine alte Freundin und habe Bruno seit
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