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Die Akte Golgatha

Die Akte Golgatha

Titel: Die Akte Golgatha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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an, ein kurzer, aber heftiger Stoß mit dem Ellenbogen, und die Glasscheibe der Tür zersplitterte.
    »Wo hast du das gelernt?«, erkundigte sich Francesca anerkennend.
    Gropius lächelte generös: »Auf der Gangsterschule!« Er staunte selbst über seine Kaltschnäuzigkeit. Behutsam langte er durch die geborstene Scheibe und öffnete die Tür von innen. »Sei vorsichtig!«
    Francesca entsicherte erneut ihre Pistole, dann wagten sie sich in das Innere des Hauses. Es dauerte eine Weile, bis ihre Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Von dem finsteren Flur, der sich linker Hand auftat, gingen sechs Türen weg, drei auf jeder Seite, und keine der Kammern dahinter unterschied sich von der anderen: ein Tisch, ein Stuhl, ein Bett, allesamt aus rohem Holz, das Bett ohne Matratze oder Kissen, nur mit einer Wolldecke als Unterlage.
    »Auf Komfort wird hier weniger Wert gelegt«, bemerkte Francesca im Flüsterton. »Merkwürdig, findest du nicht?«
    Ratlos hob Gregor die Schultern. Er wusste selbst nicht, was er von der kümmerlichen Einrichtung halten sollte. Das alles hatte etwas Asketisches an sich. Mönche im Mittelalter, dachte Gropius, mögen so gelebt haben, Mönche oder Anhänger einer pervertierten Religion, die Selbstkasteiung und körperlichen Schmerz als Erfüllung menschlichen Daseins betrachteten.
    Während sie sich auf die andere Seite des Gebäudes begaben, murmelte Gropius: »Es soll ja Leute geben, die mögen das.«
    »Was? Wovon sprichst du, Gregor?«
    »Askese und Selbstkasteiung!«
    »Du meinst, die Folterwerkzeuge, die wir unten gesehen haben, dienen gar nicht dazu, anderen Schmerz zuzufügen, sondern eher sich selbst? Du glaubst, unsere Freunde hier geißeln sich selbst?«
    »Ich weiß es nicht. Die Methode ist jedenfalls nicht neu und immer noch weit verbreitet. Schon im Alten Testament trugen die Israeliten das Zilizium, ein aus kratzigem Ziegenhaar gewebtes Büßergewand auf der nackten Haut. Und die katholische Kirche hat diese Art der Selbstkasteiung im Mittelalter zur Perfektion getrieben. Es gab Büßerorden, deren Mitglieder Unterhosen trugen, in die Dornen eingearbeitet waren, oder ebensolche Strumpfbänder.«
    Francesca kicherte. »Du machst dich lustig, Gregor!«
    »Keineswegs, Schmerz ist ein Fundament der christlichen Religion. Denk nur an das Fegefeuer, wo schuldbewusste Menschen sich einen Teil ihrer Sünden wegbrennen. Gott, so es überhaupt einen gibt, kann so etwas Perverses nicht erfunden haben.«
    Auf der anderen Seite des Treppenhauses lagen ein Eßraum, der in seiner Schäbigkeit – ein Tisch und acht Stühle – einem Bahnhofswartesaal vor hundert Jahren glich, eine Küche mit einem eisernen Herd und mehrere Wirtschaftsräume mit Konserven und Vorräten, genug, um die nächste Sintflut zu überleben. Einer dieser Räume diente der medizinischen Versorgung, jedenfalls hatte es zunächst den Anschein. Doch als Gropius das Inventar näher in Augenschein nahm, machte er eine beängstigende Entdeckung: Die vermeintlichen medizinischen Geräte erwiesen sich als Folter- und Mordinstrumente. Ein tragbares EKG, wie es in Rettungswagen Verwendung findet, war mit einem Hochfrequenztrafo ausgestattet. Mithilfe der angeschlossenen Elektroden konnte man einen Menschen in Sekunden ins Jenseits befördern. Der Bestand an originalverpackten Operationsbestecken und Injektionsspritzen deckte den Monatsbedarf einer mittleren Klinik, und die Vorräte an Narkotika, Opiaten und gefährlichen Giften waren durchaus geeignet, eine Kleinstadt in Schlaf zu versetzen und jedes Leben auszulöschen.
    Chlorphenvinphos! Der Schriftzug des Insektengifts sprang ihm von einigen Dutzend Packungen à hundert Kubik ins Auge. Und mit einem Mal war alles wieder gegenwärtig: der Tod Schlesingers, Fichtes kriminelle Rolle bei den Organtransplantationen, die Todesopfer in deutschen Kliniken, de Lucas Tod und jener von Sheba, und nicht zuletzt seine eigene Entführung, bei der er mit demselben Pestizid bedroht worden war. Keine Frage – eine Verschwörung. Aber welche Verbindung gab es zwischen den Giftanschlägen mit Chlorphenvinphos und der Suche nach Beweisen dafür, dass Jesus nicht in den Himmel aufgefahren war?
    Alle vorstellbaren Zusammenhänge erschienen höchst widersprüchlich, widersinnig und weit hergeholt. Und doch musste eine unsichtbare Hand existieren, die alle Fäden zog, ein Wesen, das im Verborgenen wirkte und buchstäblich über Leichen ging. Wo lag der Schlüssel? In Augenblicken wie

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