Die Akte Golgatha
Unsicherheit und fragte ebenso unsicher: »Willst du damit sagen, dass der Code richtig ist?«
»Ja, das will ich«, entgegnete Francesca mit erhobener Stimme. »Jedenfalls gibt der Computer den Zugang frei zu allen gesendeten und empfangenen E-Mails der letzten zehn Tage.«
»Als du sagtest, ein Codewort zwischen drei und zehn Buchstaben sei vonnöten, fiel mir spontan dieses rätselhafte Kürzel ein, das mir mehrfach im Laufe meiner Nachforschungen begegnet ist. In München wurde von den Leuten sogar die Hotelrechnung mit einer Firmenkreditkarte auf den Namen IND bezahlt.«
Gregors Erklärung erschien Francesca reichlich weit hergeholt, sie genügte jedenfalls nicht, ihr Misstrauen völlig zu beseitigen. Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder Gropius sagte die Wahrheit, oder er hatte sich aus Versehen selbst verraten. Dann war er ein grandioser Schauspieler, aber auch ein Dummkopf. Beides traute sie ihm eigentlich nicht zu.
Sie hatte nicht den Nerv, sich weiter mit dieser Frage auseinander zu setzen, und tippte auf ›Letzte empfangene Nachricht‹. In Sekundenschnelle baute sich ein kurzer Textblock in italienischer Sprache auf. Gropius zog die Stirn in Falten.
»Was heißt das?«
»Die Nachricht ist vier Tage alt!«
Mit dem Zeigefinger deutete Francesca auf die Zeilen:
»Der Segen des Allerhöchsten aus Barcino. Nächstes Ziel unserer Aktion – Milano. Vorgehensweise wie gehabt. Erwarten Vollzugsmeldung. Denn es ist besser, dass eines der Glieder verloren gehe, als dass dein ganzer Leib in die Hölle fahre. IND.«
Francesca und Gropius sahen sich lange schweigend an.
Schließlich fragte Francesca: »Was hat das zu bedeuten? Das klingt alles sehr heilig.«
»Heilig?« Gropius grinste verlegen. »Eher teuflisch! Wenn ich mich nicht irre, ist das ein weiterer Mordauftrag in Sachen Organtransplantation.«
Während Gropius den Text in seinem Taschenkalender notierte, schlug im Innenhof der Pitbull an. Francesca trat ans Fenster. Dämmerung lag über dem Gehöft. Wie toll zerrte der Hund an seiner Kette. Als ihr Blick den Weg streifte, der sich talwärts im Halbdunkel verlor, erkannte sie zwei Autoscheinwerfer, die sich zitternd bergan bewegten.
»Ein Auto kommt. Wir müssen weg!«, rief sie halblaut. Dann schaltete sie den Computer aus, und sie hasteten ins Obergeschoss, wo sie das Gebäude auf demselben Weg verließen, den sie gekommen waren.
Auf der Flucht kam ihnen die einsetzende Dunkelheit zu Hilfe. Aus sicherer Entfernung beobachteten sie, wie vier Männer einer Limousine entstiegen und in dem Hoftor verschwanden. Dann machten sie sich auf den Weg querfeldein zurück zu der Stelle, wo Francesca den Van abgestellt hatte. Sie redeten kaum, und wenn, dann nur Belangloses.
Erschöpft und verdreckt, weil sie mehrmals gestolpert waren, erreichten sie endlich nach einstündigem Fußmarsch durch die Dunkelheit ihr Auto. Auf der Rückfahrt nach Turin zog Gropius sein Notizbuch hervor. Im Schein der Innenbeleuchtung las er immer wieder den Text der E-Mail. Dann folgte sein Blick erneut den Scheinwerferkegeln des Wagens, die auf der Landstraße unsicher hin- und hertanzten wie Leuchtkäfer in einer lauen Juninacht. Aus dem Radio klang Discomusik, unterbrochen von Werbung. Jeder war mit seinen Gedanken allein. Francesca wollte nicht in den Kopf, dass Gropius das Passwort einfach so aus dem Hut gezaubert hatte. Und Gregor suchte erneut nach einer Verbindung zwischen den Mordfällen und genetischen Spuren des Jesus von Nazareth.
In der Ferne tauchten bereits die Lichter von Turin auf, als Francesca plötzlich meinte: »Wenn ich nicht irre, stammt der merkwürdige Satz mit dem Leib, der in die Hölle fahren soll, aus dem Matthäus-Evangelium.«
Gropius wandte den Blick von der Straße und sah Francesca von der Seite an. »Woher willst du das wissen?«
Francesca lachte. »Wir Italiener sind eben bibelfest. Kunststück, wo wir doch dem Stellvertreter des Allerhöchsten Asyl gewähren. Und markante Sätze wie dieser bleiben einem einfach im Gedächtnis. Aber wenn du willst, kann ich Don Roberto anrufen. Der kennt die vier Evangelisten auswendig.«
»Viel mehr würde mich interessieren, woher der Segen des Allerhöchsten wirklich kam, mit anderen Worten, der Absender der E-Mail. Barcino, das klingt wie eine Stadt in Italien.«
Francesca schüttelte den Kopf. »Nie gehört!«
Gropius wollte etwas sagen; aber Francesca hielt ihm die Hand entgegen. Dann stellte sie das Radio lauter, wo gerade die
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