Die Akte Golgatha
diesem wünschte Gropius, er hätte nie den Versuch unternommen, den Fall Schlesinger aufzuklären, er hätte das Terrain der Polizei überlassen. Doch im selben Augenblick sagte ihm eine innere Stimme, dass er der Lösung nahe war wie nie zuvor.
War hier in diesem verlassenen Gehöft, das offensichtlich ein paar perversen Pfaffen Unterschlupf bot, die Kommandozentrale? Gropius schüttelte den Kopf. Undenkbar! Aber vielleicht gab es irgendeine Spur, einen Hinweis, der ihm weiterhelfen konnte. Dabei musste er an Rodriguez denken, der bei ihrer ersten Begegnung in Berlin gesagt hatte: Ihre Chancen, die Hintergründe aufzuklären, sind gleich null.
»Mit wem sprichst du, Gregor?«
Gropius erschrak. »Ich?« Er war so in seine Gedanken vertieft, dass er begonnen hatte, mit sich selbst zu reden. »Entschuldige, ich versuche gerade wieder einmal, das Chaos zu ordnen.«
»Mit Erfolg?«
Gropius gab keine Antwort. Er war zu durcheinander.
Im Halbdunkel stiegen sie die Treppe hinab ins Erdgeschoss und stießen dort auf einen kahlen Büroraum: ein einfaches Regal an der Wand, davor ein alter Küchentisch, der als Schreibtisch diente, an der gegenüberliegenden Wand ein weiterer Tisch als Ablage. Immerhin gab es eine in die Jahre gekommene mechanische Schreibmaschine, einen Computer und ein Telefon mit Anrufbeantworter, der, nach dem Design zu schließen, schon seit zwanzig Jahren seinen Dienst tat.
Was das Büro von jedem anderen unterschied, war die Tatsache, dass weder Ordner noch Akten oder irgendwelche Papiere herumlagen. In dem Regal an der Wand gab es keine Bücher, einzig ein Stapel blütenweißes Papier lag streng ausgerichtet auf dem Tisch und harrte der Verwendung. Es schien, als seien die Bewohner bemüht gewesen, jede Spur zu beseitigen.
»Verstehst du das?«, fragte Gropius, ohne auf eine Antwort zu hoffen.
Francesca machte sich inzwischen an dem Computer zu schaffen. »Ich glaube«, meinte sie, nachdem sie die Tastatur heftig bearbeitet hatte, »das Ding funktioniert noch mit Dampf.« Misstrauisch verfolgte sie ein Kabel, das den Computer mit einer Telefonsteckdose verband.
Gropius nickte anerkennend: »Immerhin, die Herrschaften verfügen über Internetanschluss!«
Wie verrückt hämmerte Francesca in das altmodische Gerät. Im Gegensatz zu Gregor war sie mit dem Teufelszeug aufs beste vertraut, und sie meinte: »Wenn sie das Gerät in Gebrauch hatten, dann haben sie auch Spuren hinterlassen.«
Fasziniert beobachtete Gropius, wie Francesca den Computer bediente. Er selbst hatte sich stets in der glücklichen Lage gesehen, diese Arbeit delegieren zu können. Die Fähigkeit, eine E-Mail zu schreiben und an eine beliebige Adresse auf diesem Planeten zu senden, verglich er immer mit Einsteins Relativitätstheorie, bei der es sich auch um eine ganz einfache Sache handelt, so man sie beherrschte.
»Du meinst, es gibt eine Möglichkeit, den elektronischen Schriftverkehr dieser Leute auf dem Bildschirm sichtbar zu machen?«, erkundigte sich Gregor vorsichtig. »Wenn ich mir die Ordnung hier im Raum ansehe, dann sind sie bei der Spurenbeseitigung im Internet genauso gründlich gewesen.«
Francesca ließ sich von ihrer Arbeit nicht abbringen und antwortete, ohne aufzusehen: »Professore, Sie sollten sich besser auf Ihre Arbeit als Chirurg konzentrieren. Für elektronische Medien fehlt Ihnen offensichtlich jedes Verständnis. Es gibt da nur ein Problem … Aber auch das ist lösbar, wenn du mir entsprechend Zeit gibst.«
»Und das wäre?«
Francesca war zu vertieft in ihre Aufgabe, um auf Gregors Frage zu reagieren. Plötzlich hielt sie inne und wiederholte: »Es gibt da nur ein Problem. Ich brauche ein Passwort, um mich einzuloggen und die E-Mails abzurufen, mindestens drei Buchstaben, höchstens zehn.«
»Drei Buchstaben?« Gropius überlegte nicht lange: »IND.«
»IND?« – Francesca tippte die Buchstabenfolge ein, eher aus Jux oder um Gropius einen Gefallen zu erweisen, als aus der Überzeugung, dass Gregor Recht hatte. Im nächsten Augenblick stieß sie einen leisen Schrei aus. Sie sah Gregor an und starrte dann wieder auf den Bildschirm.
»Was hast du, Francesca?«
Francesca blickte ungläubig. »Woher kennst du das Passwort dieser Leute?« Sie wusste nicht, wie ihr geschah, und ihr erster Gedanke war: Gropius spielt ein falsches Spiel, er steckt mit den Gangstern unter einer Decke. Instinktiv ging ihre Hand zur Innentasche ihres Blazers, wo die Pistole steckte.
Gropius bemerkte ihre
Weitere Kostenlose Bücher