Die Akte Golgatha
bin sicher, dass das noch eine Weile der Fall sein wird.«
»Wie dem auch sei, ich bin beauftragt, Ihnen folgende Mitteilung zu machen: Es liegt im Interesse des Vatikans, wenn Sie Ihr Wissen nicht der Polizei mitteilen, sondern der römischen Kurie. Das ist auch der Grund, warum wir Sorge getragen haben, Ihren Aufenthalt im Gefängnis so kurz wie möglich zu gestalten.«
»Zu gütig«, fuhr Gropius im ironischen Ton des Monsignore fort, »wirklich, zu gütig. Aber seien Sie versichert, man hätte mich auch ohne Ihre freundliche Unterstützung bald wieder laufen lassen. Wenn ich Sie recht verstehe, dann erwarten Sie von mir jetzt eine Gegenleistung.«
Crucitti hob theatralisch die Schultern. Wie die meisten seiner Zunft war der Monsignore ein schlechter Schauspieler.
»Gegenleistung?« Er tat entrüstet: »Schon der Apostel sagt, wer dem Geringsten nur einen Becher Wasser reicht, der wird nicht kommen um seinen Lohn.«
»Und das heißt?«
»Das bedeutet, wir fordern von Ihnen keine Gegenleistung, Professore, weil wir sicher sind, dass Sie sich von selbst erkenntlich zeigen werden.«
Die Unverfrorenheit, mit der der Monsignore vorging, machte Gropius für einen Augenblick sprachlos. Dabei entging ihm jedoch nicht, dass Crucitti unsicher um sich blickte, als würde er verfolgt oder als wäre es ihm unangenehm, mit ihm zusammen gesehen zu werden. Schließlich leerte er seine Kaffeetasse – er nahm weder Zucker noch Milch – in einem Zug und meinte: »Das Wetter ist so schön heute Morgen. Was halten Sie von einem kurzen Spaziergang? Im Gehen redet es sich leichter. Außerdem haben Wände bekanntlich Ohren.«
Gropius wollte schon sagen: Hören Sie, ich sehe keine Veranlassung und erst recht keinen besonderen Anreiz, mit Ihnen zu lustwandeln! Aber dann siegte doch seine Neugierde, und er kam zu der Erkenntnis, dass die Gelegenheit, mit einem Abgesandten der römischen Kurie zu plaudern, nicht gerade alltäglich war. Im Übrigen hatte er sich für den Vormittag nichts vorgenommen, deshalb antwortete er: »Warum nicht, Mon signore, also gehen wir.«
Die Via Nizza – das Hotel ›Méridien‹ trägt die Hausnummer 262 – zählt nicht gerade zu den einnehmenden Straßen Turins, und Gropius und Crucitti wählten die Richtung stadteinwärts. Die Hände auf dem Rücken gingen beide ein Stück schweigend nebeneinander her. Bemerkungen über das Wetter und ähnliche Plattitüden hielt Gregor für unangebracht. Plötzlich, als hätte er seine Gedanken gesammelt, begann der Monsignore: »Machen wir uns nichts vor, Professore. Wir wissen beide, worum es geht. Es wäre kindisch, wenn wir um den heißen Brei herumredeten.«
Gropius wusste nicht, was er meinte. Wie sollte er reagieren? Und so entschloss er sich, dem Monsignore nicht zu widersprechen. »Das klingt vernünftig«, bemerkte er nichtssagend.
Auf der breiten Einfallstraße lärmte der Morgenverkehr, und ein Lastwagen pustete ihnen schwarzen Qualm ins Gesicht. »Ich will nicht verhehlen«, nahm Crucitti seine Rede wieder auf, »dass der Vatikan bereit wäre, viel Geld zu bezahlen, um in den Besitz von Schlesingers Akte Golgatha zu gelangen. Und wie Sie wissen, sind wir nicht die einzigen Interessenten. Das wirkt sich natürlich auf den Preis aus. Ich muss Ihnen das nicht erklären.«
Gropius schossen tausend Gedanken durch den Kopf. Fakten und Theorien, die er in den letzten Monaten aufgestellt hatte, gerieten ins Wanken. Doch er versuchte Ruhe zu bewahren. »Sie glauben also, dass ich im Besitz von Schlesingers Akte bin?«, griff er die Rede des Monsignore auf.
Crucitti reagierte unwillig: »Ich habe nicht erwartet, dass Sie mir Ihr Versteck verraten. Und vermutlich wissen Sie längst, dass wir Sie seit geraumer Zeit beobachten, ein nicht ganz einfaches Unterfangen, weil unsere Leute dabei ständig mit der Gegenseite aneinander geraten, die sie ebenfalls nicht aus den Augen lässt. Ich muss Ihnen ein Kompliment machen, Professore. Ihre Vorgehensweise ist äußerst geschickt. Die CIA könnte sich glücklich schätzen, Sie zu ihren Agenten zu zählen.« Der Monsignore lachte über seinen – vermeintlich gelungenen – Scherz.
Für Gropius stellte sich nun die Frage: Bluffte dieser Monsignore? Um ihn zu provozieren, sagte Gropius mit spöttischem Unterton: »Monsignore, ich begreife nicht, warum Sie um das Grabtuch so viel Wind machen. Sie wissen doch, dass es sich dabei um eine mittelalterliche Fälschung handelt. Eine Stoffprobe von diesem Objekt
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