Die Akte Golgatha
sich beide plötzlich wie Duellanten gegenüber, wie Todfeinde, die den Augenblick abpassten, wer als Erster die Waffe ziehen würde. Gropius forcierte, als er Lagermann erkannte, seine Schritte. Nur keine Furcht zeigen. Aber Lagermann dachte nicht anders. Und so kam es, dass Gropius und Lagermann entschlossen wie zwei brünstige Hirsche aufeinander zu stampften, ohne zu wissen, wie die Begegnung enden würde.
Dann holte Gropius aus und schleuderte dem Gegner seine rechte Faust ins Gesicht. Lagermann, von seinem bodenlangen Kittel daran gehindert, die Balance zu halten, verlor das Gleichgewicht, knallte mit dem Schädel gegen die Wand und fiel wie ein Sack Mehl in sich zusammen.
Zum Glück für Gropius gab es für diesen Vorfall keinen Zeugen, und Lagermann hatte keine ernsthaften Verletzungen davongetragen. Aber Gropius wurde von der Klinikleitung noch am selben Tag bis zur endgültigen Klärung des Transplantationsskandals beurlaubt.
Der Zeitungsbericht in Bild erregte großes Aufsehen, und Breddin, dem man eine Spürnase für Skandale nicht absprechen konnte, ahnte, dass hinter dem eigentlichen Kriminalfall eine ganz andere Geschichte steckte. Gropius, den er telefonisch um ein Interview bat, hatte es abgelehnt, mit ihm zu sprechen, nun suchte er einen neuen Ansatzpunkt.
Das aber stellte sich als weit schwieriger heraus, als er zunächst angenommen hatte. Die Leute von Eurotransplant schwiegen wie ein Grab, was den Organspender anging, und das Münchner Klinikum hatte nach der provozierenden Schlagzeile seiner Zeitung einen Informationsstopp verhängt. Selbst Lagermann, den er noch am selben Tag telefonisch erreichte, gab sich mürrisch und meinte, er habe am Abend zuvor wirklich zu viel getrunken und noch mehr gesagt, vor allem habe er nicht erwartet, dass er, Breddin, ihn wörtlich zitiere. Das könne ihm, Lagermann, sehr schaden.
Inzwischen hatte die tägliche Telefonkonferenz des Blattes, bei der alle Außenredaktionen der Hamburger Zeitung miteinander verbunden sind, beschlossen, den Fall weiter heiß zu kochen, also die Leserschaft jeden Tag mit einem neuen Artikel über den Transplantationsskandal zu füttern.
In seinen Drehstuhl gelümmelt, die Füße auf dem Schreibtisch, behielt Breddin den Bildschirm seines Laptops im Auge, auf dem die Schlagzeile des heutigen Tages aufleuchtete. Mit einem Bleistift stocherte er auf einem weißen Blatt Papier herum, als hoffte er, das Schreibgerät würde sich mit einem Mal selbstständig machen und die Hintergründe der mysteriösen Tat niederschreiben.
Nach dem gegenwärtigen Stand der Recherchen gab es für Breddin zwei Theorien: Die naheliegendste war natürlich, dass der Patient getötet werden sollte. Doch das wäre fraglos einer der ungewöhnlichsten Morde der Kriminalgeschichte, schließlich gibt es tausendmal einfachere Möglichkeiten, einen Widersacher ins Jenseits zu befördern. Außerdem hätte dies der Mithilfe mindestens eines Klinikangestellten bedurft, ein unkalkulierbares Risiko. Die zweite Möglichkeit schien da weit einleuchtender. Nach allem, was er von Lagermann gehört hatte, herrschte unter den Halbgöttern in Weiß erbitterte Rivalität. Was lag also näher, als dass ein Mediziner den anderen auf die geschilderte Weise ins Messer laufen ließ? Eine perfide Planung, die unter Insidern keinen allzu hohen und riskanten Aufwand erforderte.
Breddin war ein alter Hase in dem Geschäft. Er wusste, dass Recherchen in einer Klinik äußerst schwierig sind, vergleichbar nur mit Nachforschungen im Vatikan, wo Schweigen zu den zehn Geboten gezählt wird. Während er also darüber nachdachte, wie er Lagermann doch noch zum Reden bringen könnte, und während er im Kopf die Kartei seiner Freunde und Bekannten durchging, von denen ein Reporter mehr oder weniger lebt, und jeden einzelnen Namen auf eventuelle Kontakte zum Klinikum abklopfte, kam ihm der Zufall in Gestalt einer hinreißenden jungen Frau zu Hilfe.
Sie hatte kupferrotes gewelltes Haar, und ihr üppiger Busen kam sogar unter dem sportlichen Trenchcoat zum Tragen. Sie schien äußerst erregt, als sie Breddins Büro betrat, und fragte aufgebracht: »Haben Sie den Bericht über den Transplantationsskandal geschrieben?«
»Ja«, erwiderte der Reporter, »mein Name ist Danny Breddin, und wer sind Sie?«
»Das tut nichts zur Sache«, erwiderte das Mädchen, »ich heiße Rita, das reicht.«
»Nun gut, Rita. Und was kann ich für Sie tun?«
»Es geht um Professor Gropius.«
»Sie kennen
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