Die Akte Golgatha
ihn?«
»Ja«, antwortete Rita. »Es ist eine Unverschämtheit, Professor Gropius zu beschuldigen. Das ist glatter Rufmord. Gropius ist das Opfer eines Komplotts geworden!« Ihre Stimme klang schrill.
Bis zu diesem Zeitpunkt war Breddin nur vom Äußeren der Unbekannten beeindruckt gewesen, doch nun begann er sich für das, was sie sagte, zu interessieren. »Ein Komplott? – Das müssen Sie mir näher erklären!«
»Da gibt es nicht viel zu erklären. Der Professor lebt seit ein paar Monaten von seiner Frau getrennt. Das wäre noch nichts Besonderes. Aber seine Frau hat gedroht, sie wolle ihn fertig machen. Wie ich Veronique Gropius kenne, geht sie dabei auch über Leichen.«
Breddin horchte auf. Wer war die Frau mit den roten Haaren, und welches Ziel verfolgte sie, wenn sie ihm das alles erzählte? Ein Ehedrama als Hintergrund des Skandals wäre ein gefundenes Fressen für die Zeitung. Stories wie diese passierten nicht jeden Tag.
»Rita«, begann er mit Engelszungen auf sie einzureden. »Ich bin sehr froh, dass Sie gekommen sind. Sie wissen offensichtlich mehr über den Fall. Wollen Sie mir nicht alles erzählen, damit die Wahrheit ans Licht kommt?«
Rita schüttelte unwillig den Kopf, und ungewollt entschlüpfte ihr dabei ein Schmunzeln, das jedoch schon im nächsten Augenblick zu einem Ausdruck zerrann, als empfände sie Schmerz. »Ich möchte nur«, sagte sie beinahe weinerlich, »dass Sie meine Worte ernst nehmen und den Professor nicht vorverurteilen.«
»Das habe ich nicht getan!«
»Sie haben Lagermann zitiert, von dem jeder weiß, dass er Gropius am liebsten an die Gurgel wollte. Lagermann streut sogar das Gerücht, Gropius habe mit der Organmafia zusammengearbeitet. Daran ist kein wahres Wort. Und wenn Sie mich fragen …«
»Ich frage Sie.«
»… ich würde der Exfrau des Professors durchaus zutrauen, dass sie einen Kollegen für sich eingenommen hat, vielleicht sind es auch zwei oder drei, denen der Ruhm, den sich Gropius erworben hat, ein Dorn im Auge ist. Aber ich glaube, ich habe schon viel zu viel gesagt. Leben Sie wohl, Herr Breddin.« Und wie der Schatten einer seltsamen Erscheinung verschwand Rita aus dem Raum.
Versonnen blickte Breddin auf die Schlagzeile auf seinem Bildschirm. Er lächelte zufrieden. Es sprach einiges dafür, dass der Fall eine ganz neue Wendung nehmen würde. Für Danny gab es keinen Zweifel – das rothaarige Mädchen war die Geliebte des Professors, vielleicht sogar der Scheidungsgrund. In drei von fünf Fällen ist der Scheidungsgrund eines Mannes rothaarig. Aber was ihn noch mehr hatte aufhorchen lassen, war das Gerücht, die Organmafia stecke hinter dem Attentat.
Das Thema Organhandel hatte schon des Öfteren die Spalten seiner Zeitung gefüllt. Tausende verzweifelter Patienten standen auf den Wartelisten der großen Kliniken, und jeder Vierte auf dieser Warteliste starb noch vor der rettenden Operation. Geschäftemacher, vorwiegend aus Russland, boten Organe zu irrsinnigen Preisen an, hunderttausend Euro, inklusive Operation. Im Angesicht des nahen Todes sind Menschen bereit, jeden Preis zu zahlen. War Gropius in diesen Organhandel verstrickt? Oder hatte er es abgelehnt, mit der Organmafia gemeinsame Sache zu machen?
Inzwischen war es Mittag geworden, die Tageszeit, in der Breddin klar zu denken begann.
K APITEL 2
D ie Nachricht vom Tod ihres Mannes hatte Felicia Schlesinger gefasst aufgenommen, beinahe wie in Trance. Der Schock kam erst am folgenden Tag, als sie aus der Zeitung erfuhr, dass ihr Mann Opfer eines Anschlags geworden war. Schlimmer noch: Der ermittelnde Staatsanwalt hatte ihr ohne Regung mitgeteilt, Schlesingers Leiche sei vorläufig nicht freigegeben. Da wurde ihr erst klar, dass Arno nie mehr heimkommen würde.
In den folgenden Stunden und Tagen gingen ihr nebensächliche Dinge durch den Kopf: dass sie sich nicht einmal von ihm verabschiedet hatte, als er mit seinem alten Citroën in die Klinik fuhr, dass er ein kariertes Hemd zur gestreiften Krawatte trug und dass sie es versäumt hatte, ihm den Hausschlüssel mitzugeben. Der Tod war nie ein Thema gewesen für sie beide, seit jenem Unfall in Jerusalem, auch wenn Arno Monate auf ein Spenderorgan warten musste. Und wahrscheinlich hatten sie dadurch sogar glücklicher gelebt. Schlesinger hatte immer abgewiegelt, wenn sie sich nach dem Hergang des Unfalls erkundigte. Ein Unfall – so seine Worte – könne einen überall ereilen.
Nun saß Felicia in ihrem Haus am Tegernsee über
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