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Die Akte Golgatha

Die Akte Golgatha

Titel: Die Akte Golgatha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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sich im Palmenhaus des Nymphenburger Schlossparks. Gropius hatte diesen Treffpunkt am anderen Ende der Stadt vorgeschlagen, weil er es für besser hielt, wenn man sie nicht zusammen sah, und sie hatte dem sofort zugestimmt.
    Wenn der Herbst die Blätter gelb und rot verfärbt, beginnt im Schlosspark von Nymphenburg die schönste Jahreszeit. Japaner, Amerikaner und Italiener überlassen die Stille in den gepflegten Anlagen wieder den Einheimischen. Nur die Schwäne auf dem Kanal trauern den Fremden nach, weil sie sich wieder selbst um ihr Futter kümmern müssen.
    Nachdem er seinen Jaguar vor dem linken Seitenflügel des Schlosses geparkt hatte und durch das kunstvoll geschmiedete Tor in den Park trat, ertappte sich Gropius dabei, dass er sich im Kopf ein Bild machte von der Witwe Schlesingers. Nach ihrem kurzen Telefongespräch erwartete er eine vom Schicksal gezeichnete, in sich gekehrte Frau mit verweinten Augen und in Trauerkleidung.
    Deshalb zeigte er sich verwundert, als, kaum hatte er an einem der Tische des Cafés im Palmenhaus Platz genommen, eine dezent geschminkte Frau mit offenen dunklen Haaren in grauem Rock und dunkelrotem Blazer auf ihn zutrat und freundlich lächelnd sagte: »Sie müssen Professor Gropius sein. Ich bin Felicia Schlesinger.«
    »Sie?« – Seine dumme Reaktion war dem Professor sichtbar peinlich, und er beeilte sich, eine Entschuldigung anzufügen: »Verzeihen Sie, gnädige Frau, aber ich war mit meinen Gedanken weit weg und, wenn ich ehrlich sein soll, ich habe Sie mir auch anders vorgestellt. Bitte nehmen Sie doch Platz!«
    Felicia kam der Aufforderung mit einem Schmunzeln nach und erwiderte freundlich: »Sie meinen, weil ich nicht in Schutt und Asche vor Ihnen erscheine? Ach wissen Sie, ich bin der Ansicht, Trauer ist eine Sache des Herzens, nicht der Kleidung.«
    Durch die Glaswände der Orangerie fielen grelle Sonnenstrahlen und die vielgezackten Palmenblätter zeichneten skurrile Muster auf die weiß gedeckten Tische. So saßen sich die beiden, deren Schicksalswege sich so unerwartet und auf verhängnisvolle Weise gekreuzt hatten, einen langen Augenblick schweigend gegenüber. Schließlich begann Gropius: »Sie dürfen versichert sein, dass mir das alles unendlich Leid tut. Sie haben mein tiefes Mitgefühl, und ich wollte, ich könnte alles ungeschehen machen. Um dieses Gespräch habe ich Sie in der Hoffnung gebeten, wir könnten beide zur Klärung des Falles beitragen. Jedenfalls danke ich Ihnen schon jetzt, dass Sie gekommen sind.«
    Nichts sagend hob Felicia die Schultern, und nachdem beide Cappuccino bestellt hatten, fuhr Gropius fort: »Ich möchte Sie nur bitten, nicht alles zu glauben, was die Zeitungen schreiben. Bisher ist nichts, aber auch gar nichts bewiesen, außer dass das Organ, welches ich Ihrem Mann eingepflanzt habe, vergiftet war. Die näheren Umstände, wie es dazu kommen konnte, und die Motive des Täters sind inzwischen Gegenstand staatsanwaltlicher Ermittlungen. Dass die Organmafia ihre Hand im Spiel gehabt haben könnte, ist Spekulation und entbehrt jeder Grundlage.«
    Felicia spitzte die Lippen, blickte zur Seite und schwieg. Es war jene Art von Schweigen, das verletzender sein kann als ein böses Wort. Zweifellos wusste Felicia um die Wirkung ihrer Sprachlosigkeit, und sie kostete sie aus. Dabei hatte sie keineswegs geplant, sich so zu verhalten und Gropius mit Schweigen zu bestrafen. Ihre Reserviertheit entsprang eher einer gewissen Verlegenheit gegenüber dem Mann, der Schlesinger auf dem Gewissen hatte. Aber hatte er das wirklich?
    Endlos schien der Augenblick des Schweigens. Und noch ehe Felicia einen Gedanken formulieren konnte, der die Peinlichkeit beendet hätte, kam Gropius ihr zuvor, indem er sagte: »Es soll alles andere als eine Entschuldigung sein, aber Ihnen ist sicher bekannt, dass Ihr Mann ohne Transplantation kaum länger als zwei Monate gelebt hätte.«
    Felicia sah Gropius an. »Das wusste ich nicht. Arno hat den Unfall und seine Verletzung immer heruntergespielt. Er wollte mich nicht beunruhigen.«
    »Unfall? Was heißt hier Unfall! Gnädige Frau, wenn Sie mich fragen, ist Ihr Mann Opfer eines Anschlags geworden.«
    »Was soll das heißen? Arno sagte mir, er sei unter einen Geländewagen geraten, und jetzt behaupten Sie, es sei ein Anschlag gewesen. Ich weiß nicht, was ich glauben soll.«
    »Ja, das ist eine merkwürdige Geschichte. In der Klinik versuchte Schlesinger uns weiszumachen, seine inneren Verletzungen rührten von einem

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