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Die Akte Golgatha

Die Akte Golgatha

Titel: Die Akte Golgatha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Vornehmheit kaum zu überbietenden Herrn Nebel wies sich Felicia als Erbin aus und legte die Urkunde vor, die das Ableben ihres Mannes bescheinigte. Der Dirigent erging sich daraufhin in Floskeln und bat um einen Augenblick Geduld; dann verschwand er, noch ehe Felicia überhaupt eine Frage stellen oder den Grund ihres Kommens nennen konnte, mit den Unterlagen, die sie ihm vorgelegt hatte.
    Nach fünf Minuten kehrte der Banker zurück und händigte ihr die Dokumente aus. Er sagte mit einer gewissen Schüchternheit, die so gar nicht zu seinem Äußeren passte, in breitem Zürcher Dialekt: »Es ist da etwas sehr Merkwürdiges passiert, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.«
    »Das Geld ist weg«, fiel ihm Felicia ins Wort.
    Herr Nebel faltete die Hände, und lächelnd erwiderte er: »Ach wo denken Sie hin! In einer Schweizer Bank geht kein Rappen verloren, nein, aber es existiert da ein Umschlag des Kontoinhabers, der für den Fall seines Ablebens seiner Ehefrau Felicia Schlesinger – das sind Sie – auszuhändigen ist. Das ist merkwürdig, nicht …«
    »Merkwürdig?« Felicia wusste nicht, wie sie reagieren sollte.
    »Ja, merkwürdig; obwohl es mich nichts angeht. Man könnte meinen, dass der Kontoinhaber seinen Tod vorausgeahnt hat, oder? Ich darf Ihnen also den Umschlag aushändigen, und wenn Sie möchten, lasse ich Sie für ein paar Minuten allein.«
    Felicias Hände zitterten, als sie den Brief in Empfang nahm. Er trug Arnos Handschrift: Für den Fall meines Ablebens an Frau Felicia Schlesinger auszuhändigen.
    Was hatte das alles zu bedeuten? Felicia spürte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss. Umständlich, beinahe zärtlich öffnete sie den Brief mithilfe ihrer spitzen Fingernägel. Dabei blickte sie ängstlich nach allen Seiten, ob niemand sie beobachtete.
    Auf ein Briefpapier der Bank waren mit flüchtiger Hand ein paar Zeilen hingeworfen:
    Felicia, mein Mädchen!
Wenn du diese Zeilen zu lesen bekommst, hast du vermutlich aufregende Tage und Wochen (vielleicht sogar Monate) hinter dir. Das, mein Mädchen, konnte ich dir leider nicht ersparen. Ich habe sogar ein schlechtes Gewissen. Früher oder später müssen wir alle sterben. Du bist jung und kannst ein neues Leben beginnen, und dazu soll dir das Geld eine Hilfe sein. Ich wusste, du würdest dieses Konto früher oder später entdecken. Frage nicht, woher es kommt. Es ist da und gehört nun dir. Leb wohl. In Liebe, A.
    Vor ihren Augen zerrannen die Zeilen wie Wassertropfen in einer Regentonne.
    Verstohlen wischte Felicia sich ein paar Tränen aus den Augen. Niemand in der Halle sollte sehen, dass sie weinte.
    Als Nebel an seinen Platz zurückkehrte, fragte er geschäftsmäßig: »Wie viel darf ich Ihnen aushändigen, gnädige Frau? Hunderttausend, eine halbe Million?«
    Felicia überhörte die Frage. Ihr Interesse galt nicht dem Geld an sich, sondern der Frage, woher und auf welchem Wege die zehn Millionen auf dieses Konto gelangt waren, und sie erkundigte sich: »Können Sie mir sagen, von wem das Geld stammt? Ich meine, lässt sich zurückverfolgen, wer die Summe auf dieses Konto überwiesen hat?«
    Nebel bediente den Computer, als glitten seine Finger über die Tasten eines Cembalos. »Das müsste möglich sein«, meinte er interessiert und nach einem weiteren Augenblick: »Die zehn Millionen Euro wurden am neunzehnten Juli vergangenen Jahres von Arno Schlesinger in bar eingezahlt. Die Echtheit der Scheine wurde geprüft. Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen.«
    Als Felicia aus der Bank auf die Bahnhofstraße hinaustrat, schien die Sonne, aber ein kühler Wind fegte über das Pflaster. Das tat ihr gut; sie hatte das Gefühl, ihr Kopf würde jeden Augenblick zerspringen. Das geschäftige Treiben um sie herum war in weite Ferne gerückt. Sie hörte nur leise Töne und sah alles wie durch einen ockerfarbenen Schleier. »Warum«, murmelte Felicia im Gehen leise vor sich hin, »warum tut Arno mir das an?« Warum sagte er ihr nicht die Wahrheit? – Und wenn sie ihn eben noch geliebt hatte, jetzt hegte sie Zorn gegen ihn, Wut überkam sie, weil er noch im Tod sein Spiel mit ihr trieb.
    Bei ihrer Rückkehr fand Felicia einen Brief von Professor Gropius vor, in dem dieser um ein Gespräch bat. Die Umstände hätten sie beide in eine Lage gebracht, die dringender Klärung bedürfe. Und da er dieses Ansinnen mit einfühlsamen Worten des Beileids verband, sah Felicia keinen Grund, ihm seinen Wunsch abzuschlagen.
    Telefonisch verabredeten sie

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