Die Akte Golgatha
passierte, war auch nicht gerade dazu geeignet, solche Irritationen zu zerstreuen.
Es begann mit einem Anruf Felicia Schlesingers, vier Tage nach dem ersten Treffen. Gropius hatte kein gutes Gefühl, als Felicia sich am anderen Ende der Leitung meldete, denn er musste damit rechnen, dass sein Telefon abgehört wurde.
Felicias Stimme klang anders als bei ihrer ersten Zusammenkunft ein paar Tage zuvor. Damals hatte er sich gewundert, wie souverän die Frau ihr Schicksal zu meistern schien, ohne kalt oder gar gleichgültig zu wirken. Doch diesmal glaubte Gropius Unruhe, ja Verzweiflung herauszuhören, als Felicia um ein neues Treffen bat. Sie habe beim letzten Mal den Eindruck gewonnen, dass sie ihm, Gropius, vertrauen könne. Und auf seine Frage, ob es im Leben ihres Mannes gewisse Merkwürdigkeiten gegeben habe, habe sie zunächst geschwiegen. Rückblickend gebe ihr Schlesingers Leben jedoch nicht weniger Rätsel auf als sein mysteriöser Tod.
Hätte Gropius geahnt, dass gegen ihn inzwischen von BND und LKA ermittelt wurde, er hätte sofort aufgelegt; aber in Felicia Schlesingers Andeutungen sah er einen neuen Hoffnungsschimmer, den Verdacht von sich zu lenken. Vielleicht genügte ein kleiner Hinweis, Licht in das undurchdringliche Dunkel der Affäre zu bringen. Deshalb hatte er auch keine Bedenken, als Felicia ihn bat, sie in ihrem Haus am Tegernsee aufzusuchen.
Das Haus lag hoch über dem See und war von der Uferstraße nur über einen schmalen, steilen Weg erreichbar, der mehrmals seine Richtung änderte. Gropius hatte Mühe, seinen schweren Wagen durch die Spitzkehren der Straße zu steuern. Oben angelangt bot sich ein atemberaubender Ausblick auf den See und die umliegenden Berge. Wer hier ein Haus sein Eigen nannte, gehörte nicht zum ärmeren Teil der Republik.
Zu seiner Verwunderung hatte Gropius kein verdächtiges Fahrzeug ausgemacht, das ihn auf dem Weg zum Tegernsee verfolgte, und als er jetzt an der Haustür mit dem dezenten Schild ›Schlesinger‹ läutete, blickte er sich noch einmal nach allen Seiten um, ohne etwas Verdächtiges zu entdecken.
Felicia bat den Besucher in einen großen Raum, der von einer schrägen Holzdecke überspannt wurde und sich mit einer hohen Fensterwand zum Tal hin öffnete.
»Sie müssen das verstehen«, sagte Felicia, während sie an einem kleinen runden Tisch Kaffee servierte, »es ist nicht leicht für mich, mit der neuen Situation fertig zu werden, und natürlich war ich misstrauisch, als Sie mich um ein Treffen baten. Aber inzwischen habe ich den Eindruck gewonnen, dass Sie unter dem Tod Schlesingers beinahe ebenso leiden wie ich. Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass ausgerechnet Sie in den Organhandel mit der Mafia verstrickt sein sollen.«
Erstaunt und beinahe übermütig fragte Gropius zurück: »Und was macht Sie da so sicher, gnädige Frau?«
Felicia blickte etwas verlegen aus dem Fenster, wo es zaghaft zu nieseln begann. »Sicher?«, wiederholte sie. »Sicher bin ich nicht. Es ist eher mein Instinkt, und der wird durch gewisse Umstände beeinflusst.«
Der Professor sah Felicia Schlesinger fragend an.
»Ach, wissen Sie, ich begann vor ein paar Tagen Papiere, Dokumente, kurz, die ganze Hinterlassenschaft meines Mannes zu sichten. Ich kam dieser Arbeit zunächst widerwillig nach, fühlte mich als Eindringling in das Leben eines anderen, aber dann sagte ich mir, Arno war dein Mann, früher oder später musst du dich mit seiner Hinterlassenschaft auseinander setzen. Also wühlte ich mich nächtelang durch sein Leben, und je mehr Papiere und Dokumente ich sichtete, desto fremder wurde mir der Mann, mit dem ich vier Jahre verheiratet war. Ja, ich habe eine Ehe mit einem Fremden geführt. Es geht nicht darum, dass jeder von uns seinem eigenen Beruf nachging, sein eigenes Geld verdiente und dass wir uns manchmal wochenlang nicht gesehen haben – das entsprach durchaus unseren Vorstellungen einer Beziehung, in der jeder auch seine Freiräume hat –, vielmehr musste ich plötzlich erkennen, dass Arno Schlesinger ein ganz anderes Leben führte, als er vorgab.«
»Eine andere Frau?« Gropius erschrak über seine eigene Frage und beeilte sich hinzuzufügen: »Oh, verzeihen Sie meine Indiskretion!«
Felicia rührte konzentriert in ihrer Kaffeetasse, und ohne aufzublicken meinte sie: »Eine andere Frau? – Wer weiß, jedenfalls würde es mich nicht wundern, wenn ich auch in dieser Hinsicht noch eine Entdeckung machen würde.«
»Sie meinen, Ihr Mann
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