Die Akte Golgatha
Wirklichkeit zurück.
»Ja, vielleicht«, bemerkte Gropius leise. Er hasste diesen klischeehaften Satz, der in Kitschfilmen vorkommt, und im Augenblick war seine Enttäuschung viel zu groß, als dass er es ernst meinte.
Es gab sogar ein paar Tränen zum Abschied und eine zärtliche Umarmung. Dann war die Affäre mit Rita beendet.
Nach einem zweistündigen Flug landete Felicia Schlesinger gutgelaunt auf dem Münchner Flughafen. Sie kam aus Amsterdam und hatte erfolgreich den Verkauf zweier Niederländer des 17. Jahrhunderts aus der Sammlung eines Diamantenhändlers an einen Kölner Fabrikanten vermittelt, eine Transaktion, die ihr neben einer Provision in Höhe von hundertfünfzigtausend Euro auf dem Kunstmarkt eine beachtliche Reputation einbrachte.
Felicia bat Gropius zum Tee an den Tegernsee, um zu erfahren, was er in Turin bei Professore de Luca in Erfahrung gebracht hatte.
»De Luca war verreist, jedenfalls gelang es mir nicht, ihn zu sprechen«, kam Gropius ihrer Frage zuvor, als sie im Salon Platz genommen hatten. Er hatte sich fest vorgenommen, Felicia seine Entführung zu verschweigen, um sie nicht noch mehr zu beunruhigen.
»Dann waren Sie also ganz umsonst in Turin!« Felicia machte ein ernstes Gesicht.
»Das würde ich nicht sagen«, erwiderte Gropius, »immerhin weiß ich jetzt, dass de Luca eine höchst zwielichtige Figur ist und dass Signora Colella, die ich ja bereits aus Berlin kannte, mit ihm unter einer Decke steckt.«
»Also stammten die zehn Millionen von de Luca?«
»Das kann ich nicht sagen, nicht zu diesem Zeitpunkt. Vorläufig ist die Lage noch zu verwirrend. Im Übrigen hat sich eine völlig neue Situation ergeben, die bisher jedoch in keinem Zusammenhang mit de Luca zu stehen scheint. Möglicherweise kenne ich den Mörder Ihres Mannes!«
Felicias Gesicht erstarrte. Sie sah Gropius schweigend an.
»Nun ja«, meinte Gropius verlegen, weil ihm bewusst wurde, dass er sich mit seiner Aussage etwas zu weit vorgewagt hatte, »ich sagte möglicherweise. Jedenfalls gibt es gewisse Indizien, wenn auch keinen Beweis.«
»So reden Sie schon, Professor!«
»Fichte! Mein eigener Oberarzt. Er führt offenbar Transplantationen auf eigene Rechnung aus. Das kann ich ihm in mindestens zwei Fällen nachweisen.«
»Aber für eine Transplantation ist doch ein hoher Aufwand erforderlich. Ich meine, so etwas kann man doch nicht in einer normalen Arztpraxis ausführen! Und Arno starb schließlich nach einer Operation in Ihrer Klinik. Ich begreife die Zusammenhänge nicht.«
Gropius sah zu, wie Felicia Tee servierte. Schließlich erwiderte er: »Es gibt dafür eine einleuchtende Erklärung: Fichtes Anschlag auf Ihren Mann sollte mich treffen. Mit anderen Worten, Fichte nahm Schlesingers Tod in Kauf, um mich aus meiner Position zu verdrängen.«
»Das würden Sie Fichte zutrauen?«
»Nicht nur das!« Gropius senkte den Blick. Er überlegte kurz, ob er ihr seine Beobachtungen auf dem Flugplatz verheimlichen sollte, aber dann kam ihm zu Bewusstsein, dass Felicia früher oder später ohnehin davon erfahren würde, und so sagte er: »Offenbar trägt es zur Steigerung seines Selbstbewusstseins bei, dass er mit meiner Frau, ich meine Ex frau, ein Verhältnis hat.«
Felicia warf Gropius einen ungläubigen Blick zu. »Woher wollen Sie das wissen?«
»Woher?« Gropius lachte mit einer Bittermiene. »Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie sie zu Fichte ins Flugzeug stieg, es war übrigens sein eigenes, und sein Ziel war Nizza, eine halbe Stunde von Monte Carlo entfernt. Jene ›Madame‹, mit der sie in Monte Carlo telefonierten und die ein so unverständliches Französisch sprach, war vermutlich Veronique. Jetzt ist mir auch klar, warum sie auf einmal nicht mehr Veronika heißen wollte, sondern Veronique.«
Eine Weile schwieg Felicia. Sie suchte angestrengt nach einer plausiblen Verbindung zwischen Fichte und ihrem Mann, aber je mehr sie darüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher kam ihr eine solche Verbindung vor und desto wahrscheinlicher erschien ihr Gropius Theorie.
»Hat Arno Schlesinger vielleicht doch versucht, auf dem Schwarzmarkt eine neue Leber zu bekommen?«, fragte Gropius. »Immerhin fand sich Fichtes Telefonnummer von Monte Carlo in seiner Brieftasche. Ich meine, wozu brauchte er Fichtes Telefonnummer?«
Mit einer Geste der Hilflosigkeit hob Felicia die Hände. »Arno redete nur selten über seinen Zustand. Er machte auch keine Andeutung, wie schlimm es um ihn stand. Von der
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