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Die Akte Golgatha

Die Akte Golgatha

Titel: Die Akte Golgatha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Aufbewahrungsort Wien dabei spielen könnte; aber alle Überlegungen hatten zu keinem brauchbaren Ergebnis geführt. Nachdem sie das Gitter passiert hatten, wandte sich die Bankangestellte nach links, wo sich hinter einem schmalen Durchgang ein grell beleuchteter Tresorraum mit Hunderten Schließfächern öffnete, im Ausmaß etwa sechs mal acht Meter. Gropius spürte ein Gefühl der Beklemmung in sich aufsteigen.
    Fach 1.157 lag im hinteren Bereich in Schulterhöhe, und die schwarzhaarige Bankerin zog sich, nachdem sie das Fach geöffnet hatte, diskret in den Vorraum zurück. Mit Spannung verfolgte Gropius, wie Felicia eine Aluminiumkassette herauszog und auf einem Bord abstellte. Nicht ohne Grund hatte die Kassette ein Format, welches einer hochformatigen Akte Platz bot.
    Felicia wirkte gelassen, jedenfalls weit weniger aufgeregt als Gropius, als sie den Deckel, der an der hinteren Seite mit einem Scharnier befestigt war, öffnete und einen Blick in die Kassette warf. In ein weißes, wattiertes Tuch eingewickelt, kam ein seltsames Etwas zum Vorschein, bei näherer Betrachtung ein handtellergroßes Hufeisen aus Elfenbein, gelblich-braun und stellenweise verwittert.
    »Was ist das?«, fragte Felicia ratlos und ohne von Gropius eine Antwort zu erwarten.
    »Vermutlich ein archäologischer Fund. Altertumsforscher wissen über so einen Gegenstand ganze Bücher zu schreiben.«
    »Aber warum bewahrte er das gute Stück im Tresor auf? Und warum gerade hier?«
    »Was uns unbedeutend erscheint, kann für einen Forscher wie Schlesinger durchaus von Wert sein. – Ein Hufeisen!« Er schüttelte den Kopf. »Ein Hufeisen.« Enttäuscht blickte Gropius zur Seite. Aus der Ferne vernahm er ein hämisches Gelächter, so als habe Schlesinger sie heimlich beobachtet und treibe seinen Schabernack mit ihnen. Er fühlte, wie das Blut in seinen Kopf schoss. »Ist das alles?«, murmelte er wütend vor sich hin. »Ist das wirklich alles?«
    »Sieht so aus.« Während Felicia in der Verpackung des Hufeisens herumwühlte, bemerkte sie mürrisch: »Sie haben sich auch mehr versprochen, nicht wahr, Professor? Oder wissen Sie damit etwas anzufangen?«
    Gropius zog die Augenbrauen hoch. »Nein«, erwiderte er, »beim besten Willen nicht. Kommen Sie!«
    Hastig verschloss Felicia die Kassette und schob sie in das Fach zurück.
    Um dem feuchten Dezembernebel zu entfliehen, der den malerischen Opernplatz in trübes Grau hüllte, durch das hier und da die festliche Weihnachtsbeleuchtung schimmerte, suchten sie das Café Sacher auf, dessen Eingang links vom Hoteleingang versteckt liegt. Ein unglaublich vornehmer Empfangschef, der hinter der Glastür darüber wachte, dass nur standesgemäße Kundschaft das berühmte Etablissement betrat, komplimentierte sie zu einem der begehrten Fenstertische. Ein zweiter nahm die Bestellung, zweimal Melange, entgegen, wobei es sich nach alter Wiener Kaffeehaustradition um starken Kaffee mit einer Schaumkrone aus aufgeschäumter Milch handelt.
    Felicia machte einen niedergeschlagenen Eindruck. Jedenfalls dauerte es etliche Minuten, bis sich die maskenhafte Starre in ihrem Gesicht löste und einem versonnenen Lächeln Platz machte, das Gropius in dieser Situation überhaupt nicht deuten konnte. Aber noch bevor sich Gelegenheit bot, eine Frage, ihren plötzlichen Stimmungswandel betreffend, zu stellen, meinte Felicia kopfschüttelnd: »Es ist schon irgendwie absurd, wir haben die Aktion in bester James-Bond-Manier vorbereitet, um etwaige Verfolger abzuschütteln, und was finden wir? Ein altes verwittertes Hufeisen aus Elfenbein!«
    Nachdenklich rührte Gropius in seiner Kaffeetasse. Dann erwiderte er, ohne Felicia anzusehen: »Vermutlich ist es wertvoller, als es aussieht. Aber wer kann das schon beurteilen. Und was Wien betrifft, so hatte Schlesinger vielleicht den gleichen Gedanken wie wir: Er wollte Spuren verwischen.«
    Gropius blickte nachdenklich vor sich hin. Am Nebentisch kämpfte ein älterer Herr von gepflegtem Äußeren mit den Morgenzeitungen, wobei er weniger Zeit mit dem Lesen der Neuigkeiten zubrachte als mit dem lautstarken Umschlagen der einzelnen Seiten und dem anschließenden Nachhintenfalten derselben. Dazwischen kommentierte er die Überschriften je nach Zustimmung oder Abneigung mit unüberhörbaren Grunz- oder Zischlauten. Er saß mit dem Rücken zur Fensterfront, woraus man schließen konnte, dass er den Ausblick zur Genüge kannte. Ohne Aufforderung servierte der Ober dem eifrigen Leser bereits

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