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Die Akte Golgatha

Die Akte Golgatha

Titel: Die Akte Golgatha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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beschatten. Aber gehen Sie dabei so diskret wie möglich vor. Fichte ahnt nichts von meinem Wissen. Er soll sich in Sicherheit wiegen, zumal sein Plan bisher scheinbar aufgegangen ist. Und halten Sie mich über jede neue Erkenntnis auf dem Laufenden!«
    Kaum war Lewezow gegangen, kamen Gropius Zweifel, ob das schon die Lösung für alle zurückliegenden Ereignisse sein konnte. Gewiss, Fichtes Doppelspiel war beängstigend genug, aber bei nüchterner Betrachtung war mit der Erkenntnis, dass Fichte für die Organmafia arbeitete, nicht einmal die Hälfte des Geschehens zu erklären. De Lucas Kassette und seine eigene Entführung ließen nicht im Entferntesten auf einen Zusammenhang schließen. Und da gab es noch irgendwo so eine gottverdammte Akte, die irgendwelchen Leuten zehn Millionen wert war.
    Wenn Lewezow ihn an der Nase herumführte? Der Kerl war hinter dem Geld her wie der Teufel hinter der armen Seele! Vielleicht hatte er sich die Geschichte nur aus den Fingern gesogen, um ihn bei Laune zu halten und um ihm ein paar weitere Schecks zu entlocken. Irgendwie arbeitete Lewezow zu perfekt. Er bekam einen Auftrag, und wenige Tage später lieferte er das gewünschte Ergebnis. Dabei hatte er es nicht mit einem Trachtenverein zu tun, sondern mit ausgekochten Mafiosi. Die Geschichte ließ Gropius keine Ruhe. Er brauchte Klarheit und musste Lewezow auf die Probe stellen.
    Bereits am folgenden Tag bot sich die Gelegenheit. Allerdings war es Lewezow selbst, der den Anstoß gab.
    Lewezow meldete sich am Telefon: »Ich soll Sie doch auf dem Laufenden halten, wenn es Neuigkeiten gibt, Professor! Ich weiß nicht, ob das von Belang ist. Aber wussten Sie, dass Fichte ein eigenes Flugzeug besitzt?«
    Gropius schluckte. »Nach allem, was Sie bisher über Fichte in Erfahrung gebracht haben, wundert mich nichts mehr. Woher haben Sie Ihre Information?«
    »Das erkläre ich Ihnen später. Fichtes zweimotorige Piper steht auf dem Flugplatz Jesenwang, vierzig Kilometer westlich von München. Er hat für heute 14 Uhr einen Flug nach Nizza angemeldet. Daraus mögen Sie Ihre Schlüsse ziehen, Professor! Ich melde mich.«
    Gropius bedankte sich und legte auf. Die Nachricht, dass Fichte ein Flugzeug hatte, konnte ihn auch nicht mehr aus der Fassung bringen. Dennoch setzte er sich in seinen Geländewagen und schlug den Weg in Richtung Westen ein. Hätte ihn jemand gefragt, warum er das tat, Gropius hätte geantwortet: Ich weiß es nicht.
    Kurz vor 13 Uhr bog Gropius auf die A 96 ein. Der kalte Dezemberwind trieb die ersten Schneeflocken über das Voralpenland. Nach dreißig Kilometern verließ er die Autobahn und nahm den Weg über eine viel befahrene Landstraße nach Norden.
    Jesenwang, ein oberbayerisches Dorf wie viele, wäre kaum erwähnenswert, hätte es nicht einen Flugplatz, der Sportfliegern, Geschäftsleuten und wohlhabenden Münchnern als Heimathafen für ihre Privatmaschinen dient. Gropius parkte sein Auto etwas abseits neben dem Hangar, von wo er freie Sicht auf das Rollfeld hatte. Eine einmotorige Cessna, eine ältere Beechcraft und eine zweimotorige Piper, die gerade betankt wurde, warteten vor dem Abfertigungsgebäude, zwei Dutzend weitere Kleinflugzeuge waren in einiger Entfernung auf der Graspiste geparkt. Keine Spur von Hektik, wie sonst auf Flughäfen üblich.
    Gropius mochte wohl zwanzig Minuten gewartet haben – das Betanken der Piper Seneca II war gerade beendet, da trat Fichte aus dem Flughafengebäude, gefolgt von einer Frau. Im Laufschritt eilten beide zu der wartenden Piper. Fichte trug ein dunkles Lederblouson, auf dem Kopf eine Schirmmütze, in der Hand einen eleganten Pilotenkoffer. Die Frau hielt zum Schutz vor dem Schneeregen ein Tuch über den Kopf. Sie trug einen hellen Trenchcoat.
    Während Fichte die Tür über der rechten Tragfläche öffnete und der Frau beim Einsteigen behilflich war, riss ihr eine eisige Windböe das Tuch vom Kopf. Gropius erstarrte. Was er sah, wollte nicht in seinen Kopf. Sein Verstand weigerte sich, das zu glauben, was er sah: Die Frau an Fichtes Seite war Veronique.
    Atemlos und wie durch einen Schleier verfolgte Gropius das Starten der Motoren und die kurze Strecke, die das Flugzeug bis zur Runway zurücklegte. Er hörte das Dröhnen der Motoren, sah wie der Vogel nach kurzem Anlauf abhob; dann war es still, der Spuk vorbei.
    Nichts. Gropius fühlte nichts, keinen Zorn, keine Wut, nicht einmal Selbstmitleid – nur eine große Leere. Er hatte den Faden verloren, absolut den Faden

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