Die Akte Golgatha
Gropius?«
»Seit gestern Mittag. Hier ist mein Flugticket!« Gropius fingerte den Flugschein aus der Innentasche seines Jacketts und hielt ihn Mucha vor die Nase.
»Und wie lange wollen Sie bleiben?«
»Ich habe den Rückflug für morgen gebucht. Aber wenn es die Umstände erfordern, bin ich natürlich bereit, länger zu bleiben.«
Mucha nickte verständnisvoll und schwieg. Nach einer Weile sagte er: »Ich glaube, das wird nicht nötig sein, Professor. Im Gegenteil, Sie sollten besser zusehen, dass Sie nach Hause kommen. Ich danke Ihnen.«
»Soll das heißen …«
»Sie können gehen, Herr Gropius, wenn Sie verzeihen, Professor Gropius!«
Gropius war zutiefst verwirrt. Er hatte schon mit dem Schlimmsten gerechnet, und jetzt das! Schleunigst erhob er sich, nahm seinen kleinen Koffer, den er neben dem Schreibtisch abgestellt hatte, murmelte ein kurzes Auf Wiedersehen und verließ das Präsidium eiligen Schrittes.
Auf der Fahrt zum Hotel ›Corinthia Towers‹ überschlugen sich Gropius' Gedanken. Gerade mal vierundzwanzig Stunden hielt er sich in Prag auf, und schon wieder schien es, als habe sich alles gegen ihn verschworen. Das ist lächerlich, versuchte er sich einzureden, du bist nur mit den Nerven am Ende. Vielleicht beruhte Lewezows Tod auf einem furchtbaren Zufall. Aber schon im nächsten Augenblick kamen ihm Zweifel. Warum, fragte er sich, verlor Mucha kein Wort über Lewezows Auftrag? Warum wirkte er so betont lustlos, wenn es darum ging, den Mord an Lewezow aufzuklären? Hatte er nicht beinahe anerkennend über die Vorgehensweise des Mörders geredet?
Zurück im Hotel fand Gropius die schwarze Visitenkarte in seinem Sakko, die ihm Milena am Vorabend zugesteckt hatte. Auch wenn sie ihn nicht gerade freundlich behandelt hatte, Milena war die Einzige, die ihm vielleicht weiterhelfen konnte. Sie kannte Prasskov und wusste von seinen dunklen Geschäften. Ihm war nicht ganz wohl dabei, wie sie reagieren würde, trotzdem wählte er ihre Nummer.
»Hier ist der schwule Papiertiger!«, meldete sich Gropius am Telefon.
Übermütiges Gelächter am anderen Ende der Leitung. »Sie müssen verzeihen, ich war gestern nicht besonders gut gelaunt. Die Geschäfte gehen schlecht. Die Konkurrenz ist groß, lauter billige Nutten aus Russland. Und wenn man dann einen Mann von Klasse trifft und eine Abfuhr erhält, rastet man schon mal aus.«
»Entschuldigung angenommen!«, entgegnete Gropius. »Ich würde Sie gerne wiedersehen.«
»Oh! Bist wohl einer von den Schüchternen, die sich alles zweimal überlegen? Aber egal, wann soll's denn sein?«
»Sofort!«
»Hey! An mir soll's nicht liegen. Wie lange hast du es dir denn vorgestellt?«
»Den ganzen Nachmittag.«
»Also gut! Fünfhundert. Der Nachmittag und die ganze Nacht – Papiertiger!«
»Einverstanden. Haben Sie ein Auto?«
Erst kam ein langes Schweigen. Dann antwortete Milena: »Ach, ich verstehe, du willst es im Auto machen! Ja, das hat was.«
»Also treffen wir uns in einer halben Stunde in der Hotelhalle des ›Corinthia Towers‹.«
»Ich werde pünktlich sein!« Dabei sprach sie das ›ü‹ wie ein ›i‹. Gropius musste lachen.
Als Milena im Hotel ›Corinthia Towers‹ eintraf, trug sie einen weit schwingenden Mantel aus Webpelz und ein Stirnband um das offene Haar und nichts, aber auch gar nichts an ihrer Erscheinung war geeignet, ihre pikante Profession zu verraten. Das kam Gropius sehr entgegen.
Mit Mühe gelang es ihm, Milena davon zu überzeugen, dass er nicht die Absicht hatte, mit ihr zu vögeln. Zunächst verfinsterte sich ihre Miene, und Gropius befürchtete einen ähnlichen Wutausbruch wie am Abend zuvor; aber als er fünf grüne 100-Euro-Scheine aus der Tasche zog, sie zweimal faltete und ihr diskret in die Manteltasche steckte, huschte ein befreites Lächeln über ihr hübsches Gesicht und sie sagte: »Meinetwegen, Papiertiger, wenn es dir fünfhundert Mäuse wert ist, mich nur anzustarren, mir soll es recht sein.«
»Davon kann keine Rede sein«, erwiderte Gropius lachend. »Warten Sie's ab« – er ließ seinen Blick auf ihrem üppigen Busen verweilen –, »es geht mir um Prasskov. Sie sagten, Sie hätten mit ihm schon zu tun gehabt und kennen seine Kliniken.«
»Ich weiß zumindest von zwei, eine in Mlada Boleslav, im Norden, und eine in Podĕbrady im Osten von Prag. Und Sie sind bestimmt kein Bulle?«
»Nein, ich bin kein Bulle!«, beteuerte Gropius. »Ich interessiere mich nur für die Arbeit von Dr.
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