Die Akte Golgatha
aber die Frau interessierte ihn, zumindest hatte sie seine Neugierde geweckt.
»Ich habe meinen Beruf aufgegeben«, kam sie auf seine Frage zurück. Die Art, wie sie die Zigarette an der Spitze von Zeige- und Mittelfinger hielt, während sie mit dem Daumen auf das Mundstück tupfte, verriet eine gewisse Nervosität. »Für umgerechnet dreihundert Euro im Monat stelle ich mich nicht mehr vor die Rotzlöffel irgendwelcher Proleten, die ohnehin nichts lernen wollen. Lieber suche ich mir ein paar Mal in der Woche einen noblen Mann. Das macht Spaß, und man lernt Menschen kennen.« Ihr Lachen klang etwas bitter. »Ich heiße übrigens Milena Plečnikowa.«
»Gregor Gropius«, entgegnete Gropius verdattert. Ihre direkte Art stand in ziemlichem Gegensatz zu ihrer eleganten Erscheinung.
»Für den Fall, dass es Ihnen langweilig ist in Prag«, sie nahm eine schwarze Visitenkarte aus ihrer Handtasche und reichte sie Gregor über den Tisch. »Von hundert Euro aufwärts«, fügte sie kühl und geschäftsmäßig hinzu.
Das hättest du dir eigentlich denken können, dachte Gropius. Eine so attraktive Frau setzt sich nicht einfach so an deinen Tisch und beginnt ein Gespräch. Wirklich schade. Obwohl …
»Woran denken Sie, Gregor?« Milena holte ihn in die Wirklichkeit zurück. »Sie überlegen, was eine ganze Nacht mit mir kostet, stimmt's?«
»Nein, nein«, beteuerte Gropius verwirrt. Und fügte plötzlich hinzu: »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mich zu küssen, jetzt sofort!«
Milena kam der Aufforderung mit ironischem Schmunzeln nach. Sie beugte sich über den Tisch und berührte Gregors Lippen mit ihrem Mund.
»Genug?«, fragte sie nach einem kurzen Austausch angedeuteter Zärtlichkeiten. »Habe ich den Test bestanden?«
Gropius blickte links an ihr vorbei, während er ihren Kopf mit beiden Händen festhielt. »Wenn ich bitte noch einen Kuss haben könnte.«
Amüsiert über die Vorlieben des verrückten Deutschen legte sich Milena heftig ins Zeug, bis Gregor die ungewöhnliche Situation mit einem nüchternen »Danke, das genügt!« beendete.
Milena sah ihr Gegenüber verwundert an.
»Ich muss Ihnen etwas erklären«, begann Gropius verlegen. »Sie haben mir gerade einen großen Gefallen erwiesen. Zwei Männer, die mich nicht erkennen sollten, haben eben das Lokal betreten. Es schien mir die einzige Möglichkeit, nicht entdeckt zu werden.«
»So, wirklich?« Milena machte ein ungläubiges Gesicht. »So eine originelle Begründung hab ich selten gehört. Kompliment!«
»Nein, bestimmt nicht. Wenn Sie sich vorsichtig umdrehen, die beiden Männer dort hinten …«
Milena blickte vorsichtig nach links. »Sie meinen Dr. Prasskov und den anderen Kerl?«
»Sie kennen Prasskov?«
»Klar«, erwiderte Milena und legte beide Hände mit gespreizten Fingern auf ihre Brüste. »Made by Prasskov«, lachte sie übermütig. »Er gilt als einer der besten plastischen Chirurgen in Tschechien, und als einer der reichsten. Angeblich hat er aber sein Geld mit dunklen Geschäften gemacht. Man sagt ihm Kontakte zur Organmafia nach. Seine Verbindungen in die höchsten Stellen der Justiz sind jedoch so gut, dass es nie zu einer Anklage kam. Prasskov betreibt mehrere Kliniken im näheren Umkreis von Prag. Offiziell laufen sie unter der Bezeichnung ›Kurklinik‹ oder ›Institut für ästhetische Chirurgie‹. Was in diesen Häusern wirklich abläuft, bleibt sein Geheimnis.«
»Und der Mann neben Prasskov?« Gropius machte mit dem Kopf eine kurze Bewegung nach hinten.
»Nie gesehen!«, erwiderte Milena lustlos.
Während ihr der Ober ›Švestkové knedliky‹ servierte, in besser verständlicher Sprache ›Zwetschgenknödel mit Quark und Butter‹, zog Gropius den Zettel aus der Tasche, den Lewezow ihm geschickt hatte, und hielt ihn Milena vor die Nase.
»Haben Sie den Zettel geschrieben?«, fragte er, nachdem sich der Ober entfernt hatte.
»Iiich?«, tat Milena entrüstet, und Gropius legte mahnend den Zeigefinger auf die Lippen.
Beschwichtigend meinte er: »War nur eine Frage. Diesen Zettel hat mir ein Privatdetektiv namens Lewezow, der hier in meinem Auftrag ermittelt, geschickt; ich weiß nicht so recht, was ich damit anfangen soll.«
»Sie sind etwa von der Polizei?« Milenas Stimme klang plötzlich schrill und bedrohlich laut.
»Unsinn!«, beteuerte Gropius und blickte ängstlich nach beiden Seiten, ob ihre Unterhaltung bereits Aufsehen erregte. Aber zum Glück war der Lärmpegel in dem verrauchten Lokal so hoch, dass
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