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Die Akte Kachelmann

Die Akte Kachelmann

Titel: Die Akte Kachelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Knellwolf
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neben dem Waschbecken hängt ein blaues Handtuch, an dem Blut klebt. Am von Sonja A. beschriebenen Ort im Wohnzimmer findet die Spurensicherung ein Kuvert mit Kopien der «Receipts On Behalf Of Lufthansa», ausgestellt auf Jörg Kachelmann und eine Lena G. Im Umschlag liegt zudem ein weißes Blatt Papier, darauf ein einziger Satz: «Er schläft mit ihr!» Das anonyme Schreiben ist mit einem Computer erstellt worden.
    Sonja A. wirkt sehr aufgewühlt, so steht es im Protokoll der zweiten Vernehmung, und sichtlich geschockt von dem Ereignis der Nacht zuvor. Sie weint. Die Kriminalhauptkommissarin mit den drei Jahrzehnten Erfahrung mit «Sittlichkeitsdelikten» verfasst nach der Vernehmung folgenreiche Sätze. «Nach hiesigem Empfinden», schreibt sie, «machte Frau A. einen glaubwürdigen Eindruck. Sie war sichtlich enttäuscht von dem Verhalten des Beschuldigten, zumal sie ihn bereits elf Jahre kennt und mit ihm liiert ist.»
    Doch was ist «hiesiges Empfinden» bei einer möglichen Vergewaltigung? Das will die Verteidigung in der Hauptverhandlung von der Ermittlerin wissen. Ihr «persönliches Empfinden» sei gemeint, wird die Schwetzinger Polizistin antworten. Kriterien, nach denen sie die Glaubwürdigkeit einer Anzeigeerstatterin beurteilt, kann sienicht nennen, auch nicht auf mehrmalige Nachfrage der Verteidigung.
    Im Wohnzimmer von Sonja A. fällt den Spurensicherern nichts Besonderes auf. Das bunte Ecksofa schauen sie sich kurz an, aber mit bloßem Auge entdecken sie nichts, was Sie genauer unter die Lupe nehmen müssten. So unterbleibt ein Ermittlungsschritt, der Jörg Kachelmann vielleicht hätte entlasten können. Vorerst. Wochen später, nach seiner Festnahme, wird er nachgeholt.
    Das Spurensicherungs-Dezernat 43 aus Heidelberg hat seine Arbeit in Schwetzingen getan, die Kriminaltechniker ziehen ihre sterilen Arbeitsanzüge aus, bringen den Wohnungsschlüssel ins Nachbarhaus. Die Schwetzinger Kollegen haben Sonja A. um 16 Uhr zu ihren Eltern gefahren. Die Kriminaltechniker erklären der Radiomoderatorin, was sie mitnehmen: die Bettwäsche, das Handtuch mit dem Blut, den gesamten Müll samt Tampon, die Flugticket-Kopien mit dem Begleitbrief ohne Absender, zwei Teller mit Tomatenspuren, das Besteck, die Weingläser, einen benutzten Saucenlöffel, den angebrochenen Pinot Grigio. Das Messer liegt in der sterilen Kiste, festgebunden mit ebenso sterilem Faden. Dieser Schritt verhindert, vielleicht entscheidend, einen «Spurenverlust».
    Es wird schon dunkel, als Sonja A. die Stufen zu ihrer Wohnung hinaufgeht. Ganz schlimm sei das gewesen, wird sie Mitte August einem Gutachter erzählen, dem sie Rede und Antwort stehen muss. Eigentlich habe sie sofort wieder raus wollen. Doch dann habe sie gedacht: Ich muss bleiben. Er darf mir nicht noch mein Zuhause wegnehmen. Er hat mir schon alles genommen.

Jörg und die Kachelmänner
    «Mit Jörg Kachelmann hat die ARD nicht einen», so kündigt der Sender an, «sondern
den
Wetterexperten im Olympiateam. Der Schweizer prägte die Form der Wettervorhersage im deutschen Fernsehen.»
    Doch das Erste verheimlicht etwas, als es auf seiner Homepage seine Moderatorenmannschaft für Vancouver 2010 vorstellt. Die Fernsehanstalt verschweigt, was unter anderen Voraussetzungen prominent vermeldet würde: Ihr Wetterexperte kennt sich hervorragend aus mit der Witterung an der kanadischen Westküste. Vielleicht so gut wie in Lörrach in Südbaden, wo Jörg Andreas Kachelmann am 15. Juni 1958 geboren wurde. Oder wie in Schaffhausen, wo er aufgewachsen ist, wo er als Teenager in Schrebergärten und anderswo seine ersten Wetterstationen aufgestellt hat und wo er als junger Erwachsener eingebürgert worden ist. Für das einzige Kind einer Ostpreußin und eines Franken werden die Winterspiele in Kanada Heimspiele sein.
    Doch das bleibt geheim. Niemand darf wissen, dass Jörg Kachelmann aus jahrelanger Erfahrung spricht, als er am 10. Februar 2010, am Tag zwei nach der fatalen Nacht von Schwetzingen, twittert: «In Vancouver selbst ist Schnee eh selten.»
    Kaum jemand hat erfahren, dass der populärste Wettermoderator bereits im Juli 2003 nach Kanada ausgewandert ist. Im Landesinnern der Provinz British Columbia, am idyllischen Bridge Lake, hat er sich in einer Ranch ein TV-Studio eingerichtet mit Kameras, Satellitenanlage, Green Screen. Die geballte Technik erlaubt es ihm, jahrelang in der ARD aufzutreten, ohne dass jemand merkt, dass er Tausende Kilometer entfernt ist. Zwar verbringt Kachelmann

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