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Die Akte Kachelmann

Die Akte Kachelmann

Titel: Die Akte Kachelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Knellwolf
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unverzüglich verbieten, über Kachelmanns Inhaftierung zu berichten.
    Sonja A. ist nervös. Aber nicht, weil sie gleich auf Sendung gehen soll. Das ist Routine, das macht sie bei Radio Sunshine Live seit 1998. Doch als Profi, als studierte Medientechnikerin mit viel Rundfunkerfahrung kann sie ermessen, was auf sie zukommen wird. Sie habe Angst vor der Öffentlichkeit, schreibt Sonja A. in ihr «warum. doc». Doch die kommenden Stunden, Wochen, Monate, vielleicht Jahre werden schlimmer als ihre düstersten Ahnungen und Befürchtungen. Für sie und auch für ihre Familie.
    Eine Kölner Richterin bekommt Ralf Höckers Eilantrag auf den Schreibtisch. Sofort lässt sie den Absender wissen, sie sehe keine rechtliche Grundlage, gegen «Bild» aktiv zu werden. So wird Höcker das im Rückblick darstellen. Die Richterin habe gefunden: Nur weil Deutschlands meistangeguckte Zeitung von der Verhaftung wisse, bestehe nicht unbedingt «Erstbegehungsgefahr». Es sei nicht zwingend so, dass die Redaktion ihre Sorgfaltspflicht verletze. Höcker findet das richterliche Gebaren naiv. Noch Monate später kann er sich über die folgenschwere Medienweltfremdheit enervieren.
    Doch Höcker bleibt an diesem Morgen keine Zeit, sich lange aufzuregen. Er setzt sich wieder hin, überarbeitet seinen Antrag, ergänzt Juristisches, bringt zusätzliche Argumente vor. Doch das Rennen gegen die Zeit hat er schon verloren.
    «Bild» war schneller. In Mannheim hat Reporterin Wollbrett bereits die Staatsanwälte und das Gefängnis abtelefoniert. Die Informationen, die sie kaum glauben konnte, haben sich bestätigt.
    Gleich, um 13 Uhr, wird Sonja A. die Hörer und Hörerinnen zu «Overdrive» begrüßen, dem Programm mit einem «Hörertalk» über das «Tagesthema, egal ob Politik, Liebe und Triebe, PromiKlatschoder aktuelle Ereignisse», wie die Sunshine-Homepage verkündet.
    Doch das Tagesthema wird heute nicht angeschnitten werden beim Technosender mit dem Motto «Wir unter Euch». Und auch morgen nicht oder übermorgen, obwohl es Gesprächstoff Nummer 1 sein wird in Mannheim, in Deutschland und auch in der Schweiz. Sogar den Wetterbericht lässt die Sunshine-Redaktion tagelang ausfallen. Stattdessen läuft ein Jingle: «Das Wetter – wir glauben nicht an das Wetter».
    Kurz vor ihrer Anmoderation zu «Overdrive» ruft Rechtsanwalt Thomas Franz seine Mandantin an. Die Presse, sagt er ihr, weiß Bescheid. Sonja A. geht auf «bild.de». «Wetter-Moderator Jörg Kachelmann in U-Haft», steht dort in Riesenlettern. «Der Schweizer», liest sie, «sitzt seit Samstag in Untersuchungshaft. Es geht um Vergewaltigung – Opfer soll seine langjährige Freundin sein!»
    Dann beginnt die härteste Sendung von Sonja A. Die Moderatorin spricht weniger als sonst. «Worte pro Stunde on air: 666», heißt es auf ihrer Autogrammkarte. Diesen Durchschnitt erreicht sie heute nicht. Diese Autogrammkarte werden Unbekannte noch in derselben Woche auf die «Free Kachelmann»-Seite bei Facebook stellen. Das Bild lassen sie ungepixelt. Darunter steht nicht nur, wie viel Sonja A. normalerweise redet, wenn sie moderiert, sondern auch, dass sie drei Mal pro Jahr zum Frisör geht oder sieben Stunden Schlaf pro Nacht braucht.
    Die Staatsanwälte haben eine Pressemitteilung vorbereitet. Auf ihrer Homepage heißt es:
    «Haftbefehl gegen Moderator
    Die Staatsanwaltschaft Mannheim führt gegen einen 51-jährigen Journalisten und Moderator ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vergewaltigung. Ihm wird nach den bisherigen Ermittlungen der Polizeidirektion Heidelberg vorgeworfen, Anfang Februar seine langjährige Freundin nach einem vorangegangenen Beziehungsstreit in ihrer Wohnung im Rhein-Neckar-Kreis gewaltsamzum Geschlechtsverkehr gezwungen zu haben. Nachdem sich hinsichtlich des im Februar 2010 zur Anzeige gebrachten Sachver-halts der Tatverdacht erhärtete, hat das Amtsgericht Mannheim gegen den Beschuldigten auf Antrag der Staatsanwaltschaft Haftbefehl erlassen.»
    Die Strafverfolger vermeiden es tunlichst, den Namen Kachelmann zu erwähnen. Doch viele «51-jährige Journalisten und Moderatoren» sind nicht von der Bildfläche verschwunden zwischen Alpen und Hiddensee. Nur einer von ihnen müsste diese Woche im Ersten Wettersendungen moderieren und kann nicht.
    Weniger zurückhaltend als die Kollegen von der Staatsanwaltschaft ist ein anderer Bediensteter des Landes Baden-Württemberg. «Jörg Kachelmann», so verrät Romeo Schüssler, sitze bei ihm in einer

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