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Die Akte Kachelmann

Die Akte Kachelmann

Titel: Die Akte Kachelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Knellwolf
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Straße, ihr Haus, ihren Vater und ihre Mutter belagern. Das wird sie lange Monate tun, obwohl Journalisten nicht aufhören anzurufen, SMS zu senden, zu faxen, einfühlsame Briefe zu schicken. Wer Sonja A. schreibt, muss damit rechnen, dass seine Anfrage in der Strafakte Kachelmann landet – und von dort bald in den Medien. Das passiert selbst Journalistinnen, die sich von Anfang an auf die Seite des mutmaßlichen Opfers stellen.
    Eine Ausnahme macht Sonja A. für Alice Schwarzer. Die kämpferische Frauenrechtlerin wird im Kachelmann-Verfahren eine Sonderrolle als publizistische Nebenklägerin einnehmen – ausgerechnet als Kolumnistin im Blut-, Blech- und Busenblatt «Bild». Mit den Fakten nimmt sie es nicht immer genau. So wird Schwarzer wiederholt schreiben, Kachelmanns Anwälte hätten anfangs behauptet, die Anzeigeerstatterin sei eine Stalkerin. Weil das nicht stimmt, bekommt sie mehrfach Ordnungsgelder aufgebrummt.
    Kein Jurist des Wettermanns hatte damals das Gerücht in die Welt gesetzt, eine Stalkerin stehe hinter den Anschuldigungen, sondern – gemäss der «Bild»-Zeitung am Tag nach der Verhaftung – ein «enger Geschäftspartner». Frank-B. Werner, Wirtschaftsjournalist, Unternehmer, Weggefährte Kachelmanns und Meteomedia-Aktionär, wird im selben Text zitiert mit den Worten: «In der Vergangenheit kam es immer wieder zu einstweiligen Verfügungen wegen Stalkings, letztmals Anfang Jahr.» Von einer «langjährigen Freundin im Rhein-Neckar-Kreis» habe er nie gehört. «Meines Wissens war Jörg Kachelmann Single. Seit November ist er von seiner zweiten Frau geschieden.»
    Lügen würden über sie verbreitet, schreibt Sonja A. in die Chronologie ihres Leidens, irgendwann nachdem sie Werners Zitate gelesen hat. Keine Bekanntschaft in Schwetzingen habe Jörg Kachelmann gehabt? Nach elf Jahren Beziehung habe er ein Kind von ihr gewollt, notiert sie. Fünf Ausrufezeichen setzt sie dahinter.
    Frank-B. Werner und andere, die davon nichts ahnen, stärken dem Inhaftierten den Rücken. «Es kann gar nicht wahr sein», wird Werner im Schweizer Boulevardblatt «Blick» zitiert. «Er war ja seit Anfang Februar in Kanada, wo er für die ARD die Olympia-Wetterprognose machte. Danach hat er in Kanada und in den USA geschäftliche und familiäre Termine wahrgenommen. Wenn einer eine Gewalttat auf dem Gewissen hat, kehrt er doch nicht freiwillig nach Deutschland zurück.» Die Beweislage für die Behörden beurteilt Werner als «schwierig»: «Blaue Flecken kann man sich auch beim Skifahren holen.» Er gibt sich sicher, dass er mit Kachelmann «bald über die spannenden Geschichten lachen kann, die er im Gefängnis erlebt hat.»
    An diesem Montag stehen Werner, der Mitaktionär und ehemalige «Sonntagsblick»-Chefredakteur Peter Balsiger, die MeteomediaSpitze, der Zürcher Rechtsanwalt und Kachelmann-Vertraute Matthias Schwaibold und dessen Kölner Kollegen gemeinsam für denInhaftierten ein. Noch. Eine Telefonkonferenz zwischen der Schweiz und Deutschland jagt die andere.
    Gemeinsam versuchen alle, Schaden vom Inhaftierten und vom Unternehmen abzuwenden. Eines der Probleme des Krisenstabs: Laufend melden sich Frauen bei ihnen, die behaupten, sie seien die Lebenspartnerin von Jörg Kachelmann. Ralf Höcker soll herausfinden, was bei den angeblichen und tatsächlichen Geliebten Sache ist, und sie unter Umständen beraten. In einer der Telefonkonferenzen tragen Involvierte ihr Wissen über Jörg Kachelmanns Liebesleben zusammen: Jeder weiß ein bisschen etwas über verflossene und vielleicht noch aktuelle Partnerinnen. Bald hat Höcker mehr als ein halbes Dutzend Namen von Frauen notiert, doch die Zusammenstellung ist noch lange nicht komplett. Allen ist klar: Diese Liste ist mediales Dynamit.
    Ab 20 Uhr verfolgen Millionen Zuschauer gespannt, wie die ARD in ihrer Tagesschau über den Fall des Mannes berichtet, der bereits am nächsten Tag wieder ihr Wetter hätte vorhersagen sollen. Auf anderen Kanälen sind Inhaftierung und Vergewaltigungsvorwurf Topthema. In der Tagesschau fällt der Name Kachelmann nicht, genauso wenig in den Tagesthemen. Solch eine «Promi-Krimi-Vorwurf-Mixtur» habe in seinen Sendungen nichts verloren, tut der Nachrichtenchef in seinem Blog kund. Die ARD vermeldete einst einen Zusammenprall des Gesangssternchens Daniel Küblböck mit einem Gurkenlaster, aber die Verhaftung eines ihrer prominenteren Gesichter verschweigt sie. Bei Kachelmann handle es sich um einen Verdacht, rechtfertigt sich der

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