Die Akte Kachelmann
Euros bezahlen, damit sie ihre Beziehungsgeschichten mit Kachelmann teilweise inklusive Details aus dem Bett exklusiv im farbigen Frauenblatt ausbreiten. Doch bei Sonja A. beißt die Münchner Redaktion, zumindest vorerst, auf Granit, auch mit dem Schreiben, das so endet: «Bitte rufen Sie mich doch einmal an oder lassen Sie uns treffen. Sonnengrüße schickt Ihnen die Tanja May».
In den ersten Tagen sind die Schlagzeilen im Fall Kachelmann riesig und prominent, obwohl die Informationen dürftig bleiben. Nachbarn von Sonja A., die zitiert werden, wollen oder sollen öfter Autos mit Schweizer Kennzeichen in ihrer Straße beobachtet haben. Allerdings erzählen sie von unterschiedlichen Modellen und verschiedensten Farben. Ein Schwetzinger Pizzabäcker findet sich, der Jörg Kachelmann und Sonja A. seine Stammgäste nennt. Monate später wird er zugeben: Das war erfunden. Er habe den Journalisten alles nur erzählt, um sein Ristorante ins Gespräch zu bringen. Das ist ihm geglückt.
Am Mittwoch, dem 24. März 2010, dem zweiten Tag nach Bekanntwerden der Verhaftung, erhält der Inhaftierte bereits zum zweiten Mal in der «Bild»-Zeitung «Post von Wagner», was man als mediale Höchststrafe begreifen kann. Bis Jahresende wird der aufrechte Franz Josef Wagner rekordverdächtige fünf seiner Brief-Kolumnen an den «lieben Jörg Kachelmann» gerichtet haben und eine an das «liebe mutmaßliche Opfer». «Kachelmann ist für mich ein LiebesLügner», wird er zum Prozessauftakt schreiben. «Ich weiß nicht, welche Strafe es für so einen Mann gibt. Die Kastration?»
Auf der Titelseite des Boulevardblatts prangt am 24. März 2010 ein Bild von Sonja A. Auf einem grellen, großen Pfeil, auf das Porträt gerichtet, steht: «Diese Frau belastet ihn schwer!». Die Gesichtspartie hat die Redaktion verfremdet. Den eigenen Namen in den Medien zu lesen, so hat die Radiomoderatorin in ihrem tagebuchartigen Text festgehalten, wäre schlimmer als die Vergewaltigung. Nun schreibt die Presse bereits von «der blonden Frau». Sie bekommtPseudonyme verpasst: Petra oder Simone, Silvia May oder Sabine W. Doch dann wird sie auf der Internetseite «bild.de» in einem Leserkommentar mit Vor- und Nachnamen geoutet. Ein Anonymus schreibt, er habe die Moderatorin auf dem verpixelten Porträt in der Zeitung erkannt. Der Satz verschwindet bald wieder von der «Bild»-Homepage, doch der richtige Name von Sonja A. verschwindet nicht mehr aus dem World Wide Web. Auf Facebook haben sich Unterstützer für den Wettermoderator formiert und lancieren die Petition «Free Kachelmann». Bald stellen sie die Autogrammkarte von Sonja A. dazu. Auf Facebook bleibt die Aufnahme unverfremdet. «Auf dem Foto von ihr sieht man auf einen Blick, dass diese Frau irgendwo ein Problem hat», schreibt ein anonymer Kommentator dazu, «eine normale Frau ist DAS jedenfalls NIE gewesen!» Das gehört noch zum Harmloseren, was im Internet über Sonja A. erscheint und monatelang zu lesen ist. Es ist der Anfang einer beispiellosen Hatz – nicht nur auf das mutmaßliche Opfer, sondern auch auf den Verdächtigen.
Das Internetgericht wird im Fall Kachelmann über ein Jahr lang tagen. Neben Falschem steht Wahres, dazwischen Diffamierendes. Möchtegernankläger formulieren Hassbotschaften zuhauf, gegen Jörg Kachelmann, gegen Sonja A. Möchtegernverteidiger bekunden Solidarität mit dem einen und mit der anderen. Online geht es undifferenziert zu und ruppig wie kaum je zuvor in einem deutschen Strafrechtsfall. Beide Hauptpersonen stehen in dieser Woche am elektronischen Pranger und bleiben es für lange Zeit, vielleicht für immer.
In Kampfblogs pro Kachelmann findet sich Allerlei zu Sonja A., neben ihrem Autogrammbild ihr Vor- und Nachname, biografische Details, die genaue Adresse, die Wohnung eingekreist auf einer Luftaufnahme des Kleinen Felds, Fotos des Wohnhauses, des gepflegten Vorgartens, des Türschilds.
Die Bekloppten im Internet würden ihr nicht so viel ausmachen, wird Sonja A. sagen, aber die «Pressebelagerungen» seien furchtbar gewesen. Wegen der «Medienhölle» habe sie sich in Therapie begeben.
Bestürmt werden auch die Anwälte beider Seiten und die Staatsanwälte. Die Macher der TV-Sendung «Kerner» rufen in der Woche, als die Inhaftierung bekannt wurde, Medienanwalt Ralf Höcker an und laden ihn als Talkgast in die nächste Sendung ein. Opferanwalt Thomas Franz und auch der ermittelnde Staatsanwalt hätten schon zugesagt, behauptet die Redaktion.
Höcker
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