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Die Akte Kachelmann

Die Akte Kachelmann

Titel: Die Akte Kachelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Knellwolf
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Sie sich zusätzlich erwerben können: einen Wasserkocher und eine Glotze»,wird Jörg Kachelmann die «Spiegel»-Leser im August aufklären. Mit der Zeit habe er einen Fernseher in die Zelle bekommen, doch er habe alle Sendungen vermieden, die mit ihm zu tun haben könnten. «Ich wusste immer, wann die Luft rein ist», wird er sagen, «ich bin zu einem starken Viva- und MTV-Fan geworden. Mein Musikgeschmack hat sich stark verjüngt.»
    Am Briefkasten an einem der letzten Bauernhäuser im Appenzellerland verrät kein Namensschild, wer hier wohnt. Doch all die Journalisten, die in den kommenden Tagen und Wochen davor parken, wissen sofort: Hier bin ich richtig. Vor den Fenstern hängen meteorologische Messgeräte und hinter dem Gebäude steht, eingezäunt, eine Wetterstation. Klingeln oder anklopfen ist zwecklos. Die ehemalige PR-Beraterin Herta C., die hier wohnt, ist abgetaucht. Sie hat am Tag zuvor den Medien entnehmen müssen, weshalb der Mann, wegen dem sie hierhergezogen ist, in Untersuchungshaft sitzt.
    Um nicht unverrichteter Dinge abziehen zu müssen, sprechen die Reporter von der «Superillu» und der «Bunten» bei den Nachbarn vor. Sie erkundigen sich nach Jörg Kachelmann und der Frau, mit der er nebenan zusammenleben soll. «Die kommt nicht mehr zurück», heißt es. Im Dorfgasthof wissen Gäste und Personal über die Zugezogene nur Gutes zu berichten. Herta C. arbeite nicht mehr in ihrem Beruf, habe serviert und Kühe fotografiert. Ihn hat man auch, aber seltener gesehen. Bald ist auch der «Blick» vor Ort, beschreibt «Kachelmanns Liebesnest» und druckt Fotos davon. «Eine sympathische und attraktive Frau», so wollen die Boulevardreporter aus Zürich im Dorf sowie von einer Nachbarin erfahren haben, «habe das Haus geschmackvoll eingerichtet.» Die Möbel seien aus Deutschland angeliefert worden.
    Ruhe vor den Massenmedien findet Herta C., die sich in die Appenzeller Idylle zurückgezogen hatte, keine. Ein freier Boulevard-Journalist hat ihre Handynummer herausgefunden und gewählt, ebenso der «Stern». «Bild am Sonntag» schickt eine SMS. Doch das ist nur der Anfang. Über Tage, ja Wochen reißen die Anrufe, dieÜberredungsversuche, die Kooperationsangebote der Presse nicht ab. Eine Anfrage ist netter formuliert als die andere.
    Die Medien haben zur Jagd geblasen auf frühere und jetzige Partnerinnen des Wettermanns. Die Pirsch wird Monate dauern, sie führt ins Appenzellische, aber auch an den Zürichsee. Sie geht weiter in der kanadischen Halbwildnis. Journalisten schwärmen aus nach München und Saarlouis, nach Konstanz, Leipzig, fliegen nach Hamburg, sie setzen über nach Hiddensee, sie fahren nach Rügen. Viele Fährten werden verfolgt, einige erfolgreich, andere weniger, alle intensiv. Doch besonderen Jagdinstinkt weckt die Anzeigeerstatterin aus Schwetzingen, die angebliche Stalkerin, von der bald alle wissen, dass sie keine ist.
    Sind all die gesuchten Damen auf die Schnelle nicht auffindbar, wendet sich die Presse ungeniert an Angehörige. Die «Schwäbische Zeitung» meldet sich beim Vater von Herta C. aus dem appenzellischen Weissbad, der im Redaktionsgebiet lebt. Auch Tanja May von der «Bunten» kontaktiert ihn wiederholt. Der alte Herr legt den Hörer auf, bevor ein Gespräch richtig begonnen hat. Doch die Münchner Reporterin lässt nicht locker. Kurz darauf mailt sie dem Vater: Sie könne, schreibt May, sich vorstellen «dass Sie und Ihre Frau nicht gerade begeistert sind, was Sie seit Tagen alles über Ihren Quasi-Schwiegersohn Jörg Kachelmann lesen müssen». Ein Redaktionskollege habe gerade «sehr ausführlich mit einer Frau gesprochen, die über viele Jahre mit Herrn Kachelmann in einem Haus zusammengewohnt und die ihn auch über Jahre immer wieder nach Kanada zu seiner dort lebenden Exfrau und seinen beiden Söhnen begleitet hat». Das sei aber längst nicht alles. Es gäbe mehrere Frauen, «die alle nicht gerade glücklich darüber sind, wie sie von Herrn Kachelmann veräppelt und hintergangen wurden».
    Vielleicht fühlt sich auch Herta C. veräppelt und hintergangen. Doch als sie einen Winter später in der Hauptverhandlung gegen Jörg Kachelmann befragt wird, ist ihr davon – zumindest im kurzen öffentlichen Teil – nichts anzumerken. Sie wird eher die Rolle einer Zeugin der Verteidigung einnehmen. Sie hat eine lange Liste von Kontaktversuchen der Medien zusammengestellt, die sie, die Stimmevoller Empörung, im schmuck- und trostlosen Saal 1 des Mannheimer

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