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Die Akte Kachelmann

Die Akte Kachelmann

Titel: Die Akte Kachelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Knellwolf
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angekommen, hat er eingangs erklärt, als er zum ersten und letzten Mal zum Vergewaltigungsvorwurf aussagt. Vorausgegangen sei ein «ausführlicher SMS-Tausch». Sonja habe minutengenau wissen wollen, wann er eintreffe. Dies sei ihr wichtig gewesen, weil bei ihr eine Stunde vor Mitternacht die Heizung ausgehe und weil «üblicherweise, wenn wir uns getroffen haben, sie schon ausgezogen auf dem Bett liegen wollte, beziehungsweise leicht bekleidet».
    Irgendwann werden die Ermittler auf das Buch «Ruf! Mich! An!» aufmerksam, einen Roman der Journalistin und früheren Wettermoderatorin Else Buschheuer. Eine Stadtneurotikerin namens Paprika berichtet dort von «tabulosem Sex» mit einem Unbekannten. Auf Seite 97 schildert die Ich-Erzählerin, wie sie der Mann, den sie «Valmont» nennt, am Telefon «mit einem schwer einzuordnenden leichten Akzent» instruiert habe: «Ich komme Punkt acht. Die Wohnungstür wird nur angelehnt sein. Ich erwarte Sie nackt auf dem Bett kniend, Rücken zur Tür, mit verbundenen Augen.»
    Interessant macht den «Roman für stinknormale Großstädter» in den Augen der Ermittler ein Satz auf dem Umschlag. «Vom Wetter hat Else Buschheuer keine Ahnung», heißt es dort, «aber ihr Buch ist klasse.» Dieses Zitat, so steht da, soll von Jörg Kachelmann stammen.
    In der Vernehmung hat Jörg Kachelmann seinen Monolog noch lange nicht beendet. Doch er hat sein Diktiertempo angepasst. Die Protokollantin kommt jetzt besser mit. Sie tippt, wie «das üblicheVerfahren bei den Treffen» im Kleinen Feld ausgesehen hat: Er klingelt unten, geht langsam die Treppe hoch, die Wohnungstür ist angelehnt, Sonja A. wartet ausgezogen «oder in diesem Fall mit schon hochgezogenem Strickkleidchen». «Es kam», erzählt der Wettermann, «zu normalem Geschlechtsverkehr, in jeder Form einvernehmlicher Art».
    Sonja A. hat an diesem Tag ihre erste psychotherapeutische Behandlungsstunde. Sie ist in die Heidelberger Universitätsklinik zu Professor Günter Seidler gefahren, der für die einen Verfahrensbeteiligten eine ausgewiesene Kapazität der Traumatologie sein wird und für andere ein Scharlatan aus einem mehr als umstrittenen Wissenschaftszweig und für Sonja A., so wird sie sagen, ein Lebensretter.
    Nach dem Sex, so sagt Jörg Kachelmann aus, sei alles wie üblich gewesen. Man habe sich aufs Sofa gesetzt, den Fernseher angemacht, man habe gegessen, er könne nicht mehr mit Sicherheit sagen, was es, außer einem Glas Weißen, gab.
    Diesen Teil der Schilderung kennen die meisten Anwesenden bereits. Jörg Kachelmann hatte zuvor seinem Anwalt erzählt, dass er wohl nackt auf der Couch gesessen habe in seinen letzten Minuten in Schwetzingen, beim Gespräch, das zur Trennung führte. Reinhard Birkenstock hat diese vielleicht so zentrale Information zuvor an Staatsanwalt Oltrogge weitergegeben. Und Oltrogge hat die Spurensicherung am Tag vor dem Termin im Amtsgericht nochmals ausrücken lassen zu Sonja A., die trotz Medienhölle zuhause war und auf ein vereinbartes Klingelzeichen hin öffnete.
    Beim ersten Einsatz in der Dachwohnung hatte die «Tatortgruppe» die Polstermöbel unter der Dachschräge nur kurz angeschaut und mit bloßem Auge keine Spuren bemerkt. Sechs Wochen später, im zweiten Anlauf, nimmt sie den mittleren Teil der längeren Seite der Eckcouch eine Stunde lang unter die Lupe. Mit einer «forensischen Lichtquelle» und mit Spezialbrillen entdecken die Kriminaltechniker vom Dezernat 43 auf der Sitzfläche und an der Vorderseite etwas Flureszierendes. Es sind, im Jargon, dezente sekretverdächtige Antragungen. Mit Wattestäbchen wischen die Forensikereinen Teil fürs Labor ab. Mit dem Rest führen sie vor Ort einen Schnelltest auf Prostatasekret durch. Die Analyse funktioniert ähnlich wie ein Selbsttest auf Schwangerschaft. Sie fällt negativ aus. Das Sekret könnte auch eine andere Körperflüssigkeit sein oder eine andere Substanz, zum Beispiel Deodorant.
    Die späte Untersuchung des Sofas bringt nicht die Entlastung, auf die Jörg Kachelmann gehofft hat.
    Im Amtsgericht führt er aus, was geschehen ist, «als das Essen durch war»: Das Gespräch sei auf das Kuvert gekommen, das Sonja A. im Briefkasten gefunden habe. In der anschließenden Diskussion habe er eingeräumt, dass er «2008 mit einer anderen Frau im selben Flugzeug von Kanada nach Deutschland gereist sei». Die Entscheidung von Frau A., ihre Beziehung zu beenden, habe er verstanden und akzeptiert, er sei nach einem emotionalen Abschied

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