Die Akte Kachelmann
Kachelmann».
«Durch diese Tür muss er kommen», heißt es auch bei RTL. Wieder und wieder schaltet der Sender direkt nach Mannheim vor die JVA. Die Mitgefangenen, denen Jörg Kachelmann Adieu sagt, können Punkt 11.57 Uhr verfolgen, wie ein schwarzer Range Rover mit Kölner Kennzeichen vorfährt. Er parkt, so nahe es geht, vor der roten Backsteinmauer. Ein Herr mit schütterem Haar und Hornbrille und eine Frau mit lockigem Haar steigen aus und bahnen sich einen Weg, zehn, zwölf Schritte durch die Kameras. Hier kommen Reinhard und Johanna Birkenstock.
Tags zuvor war das Wetter schlecht gewesen. Ohne viel Regen zwar, aber zu grau für im Hochsommer. Der Strafverteidiger und seine Frau, die Mediatorin, saßen auf einer kleinen Bank vor dem Café zwischen Landgericht und Staatsanwaltschaft, das unter Journalisten schon bald «Kachelmann-Café» heißen wird. Der Umsatz dort ist gestiegen – dank der unzertrennlichen Birkenstocks, die hier auch die eine und andere Roth-Händle verglimmen lassen. Und er wird weiter steigen – dank des Ausschlusses von Presse und Öffentlichkeit aus weiten Teilen der Hauptverhandlung gegen Jörg Kachelmann. Gerichtsreporter und Zuschauer werden sich im «Kachelmann-Café» statt im Kachelmann-Prozess die Zeit vertreiben.
Reinhard Birkenstock, den selten etwas aus der Ruhe bringt, wirkte zuversichtlich und doch irgendwie nervös auf seinem Mannheimer Stammplatz vor dem «Kachelmann-Café». «Man ist in Deutschland, wenn ein solcher Verdacht an einem hängt, schnell verhaftet», hatte Birkenstock gesagt, nachdem er den Fall seines Anwaltslebens übernommen hatte. Und er hatte hinzugefügt: «Die Enthaftung dauert in der Regel länger.» Dieser Ausspruch ist an ihm klebengeblieben wie Pech, nun schon vier lange Monate, in denen er seinen Mandanten nicht freibekommen hat. Zuletzt behaupteten böse Zungen, bei Birkenstock dauere die Enthaftung eben in der Regel länger.
Zum zwischenzeitlich angekratzten Ruf des Kölner Strafverteidigers hatte auch Günter Seidler beigetragen – wohl nicht mit Absicht, jedoch mit seiner Überzeugung, dass die Vergewaltigung von Sonja A. stattgefunden hat. Er habe, so behauptet Seidler in seinem «Gutachten»,sämtliche Erkenntnisse aus den Therapiesitzungen gegen den Strich gebürstet. Und trotzdem habe er keine Anhaltspunkte gefunden, dass etwas an den Schilderungen von Sonja A. nicht stimmen könne.
Etwas stimme nicht mit dem Therapeuten mit dem kahlen Kopf, wird die Verteidigung bald schon raunen. Sie wird Sonderbares berichten aus den nichtöffentlichen Befragungsteilen Seidlers vor Gericht: Zuerst wird sich Reinhard Birkenstock verwundert zeigen über die professorale Fähigkeit, Todesangst zu riechen. Dann wird sein Nachfolger versuchen, den Hochschulprofessor lächerlich zu machen. Johann Schwenn wiederholt und wiederholt, Seidler arbeite mit «scharlatanesker» Methodik. Er wird beantragen, den Pilotenkoffer des Therapeuten, der neben dem Zeugenpult steht, zu beschlagnahmen, weil darin wertvolle Beweismittel zu vermuten seien. Soweit muss es nicht kommen: Seidler öffnet sein Rollköfferchen aus freien Stücken und händigt der Strafkammer aus, was er zum Gerichtstermin mitgebracht hat: Neben zwei Kalendern, Fachbüchern und handschriftlichen Aufzeichnungen auch eine Brotdose. Seidler wird die Box, in der höchstens noch Krümel sind, hochhalten und fragen: «Darf ich die behalten?» Es wird einer der heitersten Augenblicke im Kachelmann-Prozess sein, was Schwenn sich auf der Stelle verbittet.
Als Günter Seidler das nächste Mal von der 5. Großen Strafkammer als sachverständiger Zeuge geladen wird, bringt er einen Anwalt mit. Sein Rechtsbeistand wird monieren, die Anfeindungen gegen seinen Mandanten seien «rufschädigend». Der Verteidiger wolle «einen weltberühmten Wissenschafter fertigmachen». Von «weltberühmt» sei ihm nichts bekannt, wird Schwenn entgegnen – zum Gaudi der Pro-Kachelmann-Fraktion im Publikum.
Die Richter werden um Ruhe im Saal bitten, man könnte es auch befehlen nennen. Sie selbst müssen sich nicht vorwerfen lassen, den Therapeuten von Sonja A. nicht ernst zu nehmen. Eher das Gegenteil. Die 5. Große Kammer des Landgerichts Mannheim stützte sich stark auf Seidlers «Gutachten», als sie Jörg Kachelmann, der bereits 100 Tage in der JVA saß, nicht frei ließ.
Der Leiter der Sektion Psychotraumatologie der Uniklinik Heidelberg hatte die Erwartungen erfüllt, welche die Staatsanwaltschaft in ihn gesetzt
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