Die Akte Kachelmann
Doch das alles ist Trickserei. Formell bleibt die Einladung bestehen. Die Generalversammlung wird am 20. Juli 2010 in einem «Funktionsraum» der JVA abgehalten. Die getäuschten Mitaktionäre Werner und Balsiger sind nicht nach Mannheim gefahren. Großaktionär Kachelmann bleibt mit seinen Getreuen unter sich.
Symbolisch ist damit der Machtkampf um den Berg entschieden. Die Verflechtungen und viel Konfliktstoff zwischen den Geschäftsfreunden, die der Vergewaltigungsvorwurf auseinandertrieb, bleiben. «Dank treuer Kunden und engagierter Mitarbeiter», heißt es trotzdem schon bald in einer Medienmitteilung, «hat Meteomedia den heftigen Sturm der vergangenen Monate überstanden.» Doch am Jahresende wird niemand auf dem sonst so beschaulichen Schwäbrig das 20-jährige Firmenjubiläum feiern. Auch die traditionelle Weihnachtsfeier entfällt.
Die grüne Tür
«Er ist frei!», schreit Ralf Höcker und tigert durch den Flur, das Handy klebt ab sofort am Ohr. Freude herrscht in seinen Büros hoch über dem Kölner Friesenplatz. Bald gruppiert sich die halbe Kanzlei vor einem XXL-Flachbildschirm. Alle gucken gespannt, erwartungsvoll und -froh, ans Mittagessen denkt niemand. Seit halb zwölf Uhr am 29. Juli 2010 gibt es im Nachrichtensender n-tv eine massive grüne Metalltür zu sehen. Durch sie soll einer in die Freiheit treten, für den viele hier in Köln monatelang gearbeitet haben.
Zuletzt hatte es schlecht ausgesehen für diesen Mandanten. Keine drei Wochen sind verstrichen, seit die 5. Große Strafkammer des Landgerichts Mannheim die Anklage gegen Jörg Kachelmann zugelassen hat. Unverzüglich hat der Vorsitzende Richter Michael Seidling 15 Prozesstage bestimmt. Im September und Oktober will er zusammen mit Beisitzer Joachim Bock und Berichterstatterin Daniela Bültmann sowie zwei Schöffen richten.
Auch ist es keinen Monat her, seit dieselben drei Richter entschieden haben, Untersuchungshäftling H 08 1008 100 553 bis zur Hauptverhandlung nicht aus dem Gefängnis zu entlassen.
Und jetzt das. Heute hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe diesen Beschluss des Mannheimer Trios und den Haftbefehl gegen Jörg Kachelmann aufgehoben. Es ist ein schönes verspätetes Geburtstagsgeschenk für den Wettermann, der zwei Wochen zuvor 52 Jahre alt geworden ist. Für die Kammer in Mannheim bedeutet die Entscheidung des OLG hingegen, so die Presse am nächsten Tag, «eine Ohrfeige» und «eine Desavouierung» oder – neutraler – «die erste große Wende in diesem Kriminalfall, der unter Richtern und Gutachtern höchst strittig ist». Das Karlsruher Gremium,angerufen von der Verteidigung, hat aus den Akten ganz andere Schlüsse gezogen als das Mannheimer. Es hält die Auffassung für falsch, den TV-Moderator «dringend» einer besonders schweren Vergewaltigung zu verdächtigen. Auf «hinreichend» hat das Oberlandesgericht den Tatverdacht zurückgestuft.
Jörg Kachelmann darf die JVA Mannheim verlassen und gehen, wohin er will. Einzige Auflage: Er muss zum Prozess erscheinen. Das zu tun, hat der Angeklagte versichert.
Doch er kommt und kommt an diesem Vormittag nicht heraus. Die Direktübertragung von der grünen Tür in der denkmalgeschützten roten Backsteinfassade dauert und dauert. In der Kanzlei Höcker sind die meisten an die Schreibtische zurückgekehrt. Es gibt viel zu tun, denn die Journalistenanfragen reißen nicht ab. Wann kommt er raus? Gibt er ein Interview? Alle wollen Kachelmann.
Am Friesenplatz 1 rattert der Beschluss des Oberlandesgerichts aus dem Faxgerät. Er liest sich wie eine Bestätigung für das, was Medienanwalt Höcker stets geglaubt, gesagt, beteuert hat, von Anfang an. Auch die Karlsruher Richter schenken der Nebenklägerin Sonja A. weniger Glauben als seinem Mandanten. Sonja A., so halten sie fest, habe mit ihrem gefälschten Denunziationsbrief nicht nur Jörg Kachelmann täuschen wollen, sondern auch die Ermittlungsbehörden. In ihren Aussagen habe sie – so steht da – ein nicht unbeachtliches Fantasie- und Beharrungsvermögen an den Tag gelegt. Der Strafsenat bringt weit weniger Verständnis für die «Brieflüge» auf als zuvor Gutachterin Greuel. Diese konnte immerhin nachvollziehen, weshalb Sonja A. den Er-schläft-mir-ihr-Satz vielleicht vor allem verfasst hat: als argumentative Waffe, weil sie sich Jörg Kachelmann kommunikativ unterlegen gefühlt habe. Ebenso plausibel war für Greuel, dass Sonja A. Angst gehabt hat: Angst davor, dass ihr niemand den ganzen Rest
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