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Die Akte Kachelmann

Die Akte Kachelmann

Titel: Die Akte Kachelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Knellwolf
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doch der Beschuldigte habe den Geschlechtsakt fortgesetzt. So hat die Zeugin den angeblichen Vorfall aus dem Mannheimer Nobelhotel Steigenberger auch gemäß dem Protokoll dargestellt, das sie am Schluss ihrer Aussage bei der Schwetzinger Polizei am 29. März 2010 unterzeichnete. In der «Bild am Sonntag» jedoch hieß es bald darauf, «nach einem Streit» habe Kachelmann «auf Sex bestanden», doch die junge Frau hätte «Nein» gesagt. Und in der «Bunten» wurde eine Woche vor Prozessbeginn aus dem «Nein» der damaligen Schülerin ein mehrfaches «Nein, hör bitte auf». Der Münchner Illustrierten hat die Auszubildende genau einen Monat vor ihrer Aussage in Mannheim für mehrere Tausend Euro ein Interview über ihre Beziehung zum Angeklagten gegeben und sich ablichten lassen. Im Heftinnern sieht Eliane V. aus wie ein Engelchen, mit Sonnenbrille im Haar. Vor Gericht hält die Zeugin an ihrem «Nein» aus den Medien fest – obwohl im Protokoll, das sie bei der Schwetzinger Kripo unterzeichnet hat, etwas anderes steht. Ob sie sicher sei, hat die Polizei nachgefragt, dass sie Jörg Kachelmann gesagt habe, sie wolle nicht mit ihm schlafen. «Nicht explizit», soll Eliane V. darauf geantwortet haben, aber sie habe geweint.
    Strafrechtlich ist das ein entscheidender Unterschied. Hätte sie tatsächlich im entscheidenden Moment «Nein» und «Hör bitte auf» gesagt, läge zumindest eine sexuelle Nötigung vor. Wohl auch deshalb wird sich die Polizistin, welche die Befragung durchführte, später im Zeugenstand genau erinnern, wie sie an diesem Punkt mehrmals nachgefragt hat. Von einem «Nein» habe die Zeugin auch dann nichts erzählt, sagt sie.
    Die Verteidigung wird fordern, die Staatsanwaltschaft solle gegen Eliane V. ein Verfahren wegen Falschaussage eröffnen. Staatsanwalt Oltrogge wird darauf den Angeklagten schriftlich auffordern, sich zum Vorfall zu äußern. Doch Jörg Kachelmann, die andere Person, die weiß, was damals im Mannheimer Hotelzimmer vorgefallen ist, wird vermutlich auch hierzu schweigen.
    Am siebten Verhandlungstag muss eine Lehrerin aussagen, mit der er Mitte der 90er-Jahre eine Affäre gehabt hatte. Am selben Tag tritt eine Moderatorin in den Zeugenstand, zu der Jörg Kachelmann ein Jahrzehnt später eine Beziehung unterhielt. Beide können – darin sind sich Anklage und Verteidigung ausnahmsweise einig – wenig bis gar nichts zur Wahrheitsfindung im Vergewaltigungsfall beitragen.
    Manchmal hat es in den ersten Prozesstagen den Anschein, als sollte die Zeit überbrückt werden, bis endlich Sonja A. an der Reihe ist. Eine Aufzeichnung ihres Notrufs ist längst abgespielt worden, ihre Eltern haben ihren schweren Gang in den Gerichtssaal hinter sich gebracht. Der Leiter der Spurensicherung hat berichtet, wie er und die Kollegen ihre Dachwohnung untersucht hätten. Andere Zeugen kamen und gingen, darunter drei Schwetzinger Polizisten. Eine Angestellte des Holiday Inn Express Frankfurt-Airport hat vom «sympathischen Smalltalk» mit dem Angeklagten vor dem Morgengrauen des 9. Februars 2010 berichtet.
    Die Kammer scheint nicht unglücklich, als sie am vierten Verhandlungstag bereits zu Mittag Schluss machen kann oder muss. Der baden-württembergische Justizminister will sich auf einem Podium im Gerichtssaal 1 zum Thema Patientenverfügung äußern. Der «Prozess des Jahres» hat keine Priorität. Ein anderes Mal schickenKachelmanns Richter einen Zeugen schon an einem Freitagmittag nach Hause und vertagen die Verhandlung auf die kommende Woche. Die Justizbeamten, die jeden durchsuchen müssen, der in den Gerichtssaal will, machen freitags schon um 14.30 Uhr Feierabend. So muss der Prozess, ursprünglich angesetzt auf 15 Verhandlungstage in den Monaten September und Oktober, bis Weihnachten verlängert werden.
    Die Verzögerungen und Verlängerung muss die acht, neun so unterschiedlichen Damen und Herren ärgern, die stets aufmerksam vorne im Gerichtssaal sitzen und vieles mitschreiben, was gesagt wird. Eine stolze Professorenschar reist für jeden Prozesstag an, obwohl die meisten an Universitäten zwischen Boden- und Nordsee lehren und forschen müssten. Manch einer von ihnen fragt sich, ob sich die Anfahrt am Vortag oder der Flug frühmorgens gelohnt hat, wenn nach einem Morgen voller juristischem Geplänkel am Mittag schon wieder Schluss ist.
    Die Gelehrten sollen psychologische, psychiatrische und rechtsmedizinische Aspekte des Falls beurteilen. Wer zur Crème de la Crème der deutschen

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