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Die Akte Kachelmann

Die Akte Kachelmann

Titel: Die Akte Kachelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Knellwolf
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gemeint, «Kachelmann laufe herum wie ein gejagter Hund». Die beiden Freundinnen seien sich einig gewesen: «Wenn jemand so lebt, muss es irgendwann umkippen.»
    Allerdings hatte auch Jana B. zu jenen Frauen gehört, die unabhängig voneinander, unmittelbar nach der Festnahme den Anwälten Kachelmanns mitteilten, Jörg sei niemals gewalttätig, sondern immer freundlich, höflich und nett. «I stand by you», hatte sie ihm ins Gefängnis übermitteln lassen, «and my family too.» Bereits nach wenigen Wochen stand sie aber nicht mehr zu Jörg Kachelmann,und ihre Familie wohl ebenso wenig. Zu seinem 52. Geburtstag, Mitte Juli, schickte sie ihm Kondome und Intimseife ins Gefängnis. Ihre beste Freundin sieht darin «vielleicht einen zynischen Wink mit dem Zaunpfahl» und ergänzt, sie «hätte etwas anderes geschenkt». Jörg Kachelmann stützt sein Kinn mit beiden Händen. Reinhard Birkenstock, der das letzte Mal im Gerichtssaal neben ihm sitzt, erklärt: «Ich empfinde es als Geschmacklosigkeit, einem früheren Freund aus Hass Kondome und Lotion in die U-Haft zu schicken.»
    Jana B. selbst rechtfertigte sich in der «Bunten»: «Mein Geschenk sollte Jörg daran erinnern, wie ekelhaft und unverantwortlich er sich uns Frauen gegenüber verhalten hat.» Das «auffällige Aussageverhalten» von Jana B., so sagt Reinhard Birkenstock, erinnere ihn an Sonja A. Er wolle «kein Plädoyer vorwegnehmen, aber so etwas passiert selten». Dann nutzt er die Gelegenheit, um aus der nichtöffentlichen Befragung der Hauptbelastungszeugin gegen seinen Mandanten zu berichten. Als ein Richter Sonja A. gefragt habe, ob sie nicht mal in den Taschen von Jörg Kachelmann gekramt habe, um Hinweise auf sein Fremdgehen zu finden, «schleuderte sie ihm ›Unverschämtheit‹ entgegen».
    Fünf Monate später wird Sonja A. nochmals als Zeugin vor der 5. Großen Strafkammer erscheinen müssen. Am 34. Prozesstag wird sie mit Erkenntnissen aus der Verhandlung seit ihrer zwanzigstündigen Aussage konfrontiert. Nochmals zwei Stunden lang. Mehrfach erhält Sonja A. von der Kammer die Gelegenheit, ihre Aussage zu korrigieren. Das tut sie nicht. Als sie entlassen ist, werden Publikum und Presse wieder in den Gerichtssaal gebeten. Es kommt zu einem Novum. Der Vorsitzende Richter Michael Seidling fasst das Geschehen zusammen – in einem Satz: «Sie ist bei ihrer Aussage geblieben.»

Leise rieselt der Schnee
    Jörg Kachelmann steigt ins Flugzeug nach Kanada. Endlich, nach 15 Verhandlungstagen in zwei Monaten, kann er seine beiden Jungen jenseits des Atlantiks wieder besuchen. Zu verdanken hat er die Prozesspause von drei Wochen einem Schöffen. Der Laienrichter wollte nicht auf einen geplanten ausgedehnten Novemberurlaub verzichten.
    Über den Wolken lässt Jörg Kachelmann vielleicht die vergangenen Wochen Revue passieren. Vielleicht überdeckt bald eine leise Angst die Vorfreude auf das Wiedersehen mit den Kindern. Vielleicht überkommt diese leise Angst den Weatherman auch erst in der Neuen Welt. Jedenfalls wird er eine Entscheidung fällen, die eine der größten Überraschungen in dem alles andere als überraschungsarmen Verfahren ist.
    Längst nicht alles ist zuletzt gut gelaufen für ihn in seiner Rolle als passiver Angeklagter. In den ersten Prozesswochen hat er zwei seiner wichtigsten Gutachter eingebüßt: den Psychiater und den Rechtsmediziner, die sich am meisten für ihn engagiert haben. Tilman Elliger werde darlegen, dass die Aussagen von Sonja A. «hinsichtlich ihrer Vergewaltigung nicht glaubhaft sind». So hatte es Rechtsanwalt Reinhard Birkenstock angekündigt. Nachdem die Staatsanwaltschaft mit einem Befangenheitsantrag drohte, zog er den unnahbar wirkenden Psychiatrieprofessor aber zurück. Der Verteidigung war vielleicht ihr Verhalten im Moment des juristischen Triumphs zum Verhängnis geworden. Seit Elliger beim feierlichen Essen nach der Freilassung Kachelmanns vorbeigeschaut hatte, machte er als «Party-Gutachter» Pressekarriere oder – weil er beim feinen Italiener nur kurz einen Kaffee getrunken haben wollte –als «Espresso-Gutachter». Als Sachverständiger jedoch kam er nicht mehr infrage.
    Am siebten Prozesstag kam es zu einem noch schwereren Schlag. Das Gericht lehnte Bernd Brinkmann, einen der renommiertesten Rechtsmediziner weltweit, als befangen ab. Die Kammer ließ verlauten, sie zweifle an dessen Unabhängigkeit im Fall Kachelmann. Bleich verließ der weißhaarige Brinkmann den Saal. Vor dem «Kachelmann-Café» bat

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