Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Akte Kachelmann

Die Akte Kachelmann

Titel: Die Akte Kachelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Knellwolf
Vom Netzwerk:
als Staatsanwalt Lars-Torben Oltrogge 21 Zeilen aus der Anklageschrift verliest. Sonja A. fixiert die ganze Zeit die Tischplatte vor ihr, auf der nichts liegt. Ganz leicht zittert sie. Oltrogge liest hastig: Jörg Kachelmann habe früh am 9. Februar 2010 «die Geschädigte Sonja A. nach vorangegangenem Beziehungsstreit» in ihrer Küche an den Haaren gepackt. Er habe sie mit einem Messer bedroht, ins Schlafzimmer geschoben und dort «ungeschützten Vaginalverkehr mit der Geschädigten gegen deren erkannten Willen bis zum Samenerguss durchgeführt». Dabei habe er die Verletzungen von Sonja A. «billigend in Kauf genommen». Dies sei «strafbar als Verbrechen der besonders schweren Vergewaltigung».
    Kaum ist der Anklagesatz verlesen, passiert etwas, was selten passieren wird in der langen, langen Hauptverhandlung: Thomas Franz bittet um das Wort. Der massige Anwalt an der Seite von Sonja A. erklärt, seine Mandantin werde nun den Saal verlassen. Normalerweise dürfen Zeugen bis zu ihrer Vernehmung überhaupt nicht an einer Verhandlung teilnehmen, damit ihre Aussage unbeeinflusst bleibt. Als Nebenklägerin hätte das mutmaßliche Opfer jedoch ein Recht auf Anwesenheit. Sonja A. steht auf und verlässt mit erhobenem Kinn den Gerichtssaal.
    Zurückkehren wird sie erst am neunten Prozesstag. Für den 13. Oktober, in über einem Monat erst, haben die Richter ihre Aussage angesetzt. Genau das stößt Kachelmanns Verteidigerteam sauer auf. «Wir sind in einer Situation, in der alles danach schreit, dass jetzt Frau A. gehört wird», sagt Kachelmanns Anwalt Birkenstock, kaum hat die Hauptbelastungszeugin den Saal verlassen. Er kenne, so der altgediente Strafverteidiger, «keine Verhandlung, in der nicht nach der angeklagten Person zuallererst derjenige gehört wird, der behauptet, verletzt worden zu sein.»
    Birkenstock beantragt, Sonja A. wenigstens vor der Schar der anderen «Beziehungszeuginnen» aussagen zu lassen, die nach Planung des Gerichts zuerst an der Reihe sind. Am allerliebsten wäre ihm, die Kammer würde all die Parallel- und Nacheinanderpartnerinnen seines Mandanten umgehend wieder ausladen. Kein Wort könnten sie zur angeblichen Tat sagen, findet der Verteidiger. Sie dienten einzig dazu, «den Angeklagten in ein schlechtes Licht zu rücken».
    Staatsanwalt Oltrogge erwidert, die Aussagen der Frauen seien wichtig, damit sich das Gericht ein Bild von der Persönlichkeit des schweigenden Angeklagten machen könne. Der außergewöhnlich spät angesetzte Auftritt des mutmaßlichen Opfers sei dem gedrängten Terminplan des Gutachters Hans-Ludwig Kröber geschuldet. Dieser, der bei der Aussage von Sonja A. zwingend da sein müsse, ist bis Mitte Oktober verhindert.
    So kommt es, dass an den ersten Verhandlungstagen die zwei jüngsten Zeuginnen ihren Auftritt haben. Sie könnten unterschiedlicher kaum sein. Zuerst tritt, in rotweiß gestreifter Bluse, die Frau in den Zeugenstand, die ein halbes Jahr später Frau Kachelmann sein wird. Es ist Marta G., jene Studentin der Psychologie mit den dunklen Locken, die den Rückkehrer aus Vancouver auf dem Frankfurter Flughafen abgepasst hat und die bei der Verhaftung im Parkhaus in Tränen ausgebrochen ist. Jetzt wirkt sie für ihre 24 Jahre und in der schwierigen Situation sehr selbstsicher. Mit fester Stimme sagt die Frau, sie sei ledig, nicht verlobt mit dem Angeklagten. Unter anderem erklärt sie, dass die Sachen, die mit Jörg Kachelmann im Bett passierten, immer einvernehmlich gewesen seien.Er habe sie nie zu etwas gedrängt, er sei, im Gegenteil, stets rücksichtsvoll.
    Als Nächste erscheint eine große, blonde Frau mit dunkel geschminkten Augen, die, im ersten Moment, unruhig umherblicken. Anders als bei der ersten «Beziehungszeugin» huscht Jörg Kachelmann kein Lächeln übers Gesicht, als sie hereinkommt. Es ist jene 23-jährige Saarländerin Eliane V., die sagt, sie habe als 18-Jährige mit dem Angeklagten eine Liaison gehabt. Ihre Version ihres letzten Treffens mit Jörg Kachelmann im Mai 2006 ging, so wie sie es der Polizei schilderte, in die Anklageschrift ein. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Angaben als Hinweis interpretiert, dass der Angeschuldigte eben nicht – wie er behaupte – «überhaupt nicht fähig» wäre zu einer Tat wie in Schwetzingen. Es zeige sich, dass er sich bei Streit nicht immer zurückziehe.
    In der Anklageschrift steht, Eliane V. habe beim Austausch von Zärtlichkeiten Jörg Kachelmann gesagt, sie wolle lieber reden. Sie habe geweint,

Weitere Kostenlose Bücher