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Die Akte Kachelmann

Die Akte Kachelmann

Titel: Die Akte Kachelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Knellwolf
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Schneesturm.

Die Beziehungszeuginnen
    «Guten Morgen», grüßt ein kleiner glatzköpfiger Mann in schwarzer Robe in den Saal. Er ist federnden Schrittes vor die drei züngelnden Löwen auf dem Wappen Baden-Württembergs getreten und sagt nun: «Wir setzen die Hauptverhandlung gegen Jörg Kachelmann fort.» Es ist derselbe Richter, der die ersten fünf Prozessminuten geleitet hat. Michael Seidling gilt demnach nicht als befangen – zumindest nicht in den Augen der Mannheimer Richterkollegen, die den Befangenheitsantrag der Verteidigung abgelehnt haben. Auch Daniela Bültmann, ebenfalls unbefangen, nimmt erneut zwischen dem Vorsitzenden Richter und einem der beiden Schöffen Platz.
    Eine Woche ist seit dem kurzen Prozessauftakt vergangen. Heute sind die Zuschauer- und Pressereihen erneut bis auf den letzten Platz besetzt. Nur der fusselbärtige Kachelmann in der Lederjacke ist nicht mehr aufgetaucht. Oliver Pocher hat mit der Ausstrahlung seiner Wettermann-Parodie inzwischen eine durchschnittliche Quote eingefahren. Lange bevor das Urteil gegen den echten Jörg Kachelmann, den rasierten Anzugträger, gesprochen ist, setzt Sat 1 die «Oliver Pocher Show» ab.
    Nach einem halben Jahr intensivster Untersuchungen, nach viel Vorgeplänkel und einem medialen Vorprozess ohne Beispiel, wird der Saal 1 des Mannheimer Landgerichts zum einzigen Ort der Wahrheitsfindung. So sieht es das Gesetz vor. Theoretisch. Im Fall Kachelmann ist alles ein wenig anders.
    Das Drama zweier Menschen beschäftigt die Öffentlichkeit zu sehr, als dass die 5. Große Strafkammer in dessen vorläufig letztem Akt allein Regie führen könnte. Die allzumenschliche Geschichte von Liebe, Sex, männlicher Macht, weiblicher Unterwerfung, vomvermeintlich netten Schwiegersohn in spe, von den Mehrfachbeziehungen, vom Verlassenwerden, von Kränkungen, von Rache und Sühne zieht zu viele in den Bann. Der Angeklagte wird in dem ganzen Trauerspiel einen passiven Hauptdarsteller geben. Doch jetzt, am 13. September 2010 um 9.34 Uhr, ist er gezwungen, etwas zu sagen. Wer vor einem deutschen Gericht Angaben zur Person verweigert, dem droht solange Haft, bis er redet.
    Seine vielleicht dreißig Worte werden für lange Zeit die einzigen sein, die Jörg Kachelmann öffentlich sagt. Kaum vernehmbar für Medienvertreter und Zuschauer äußert sich der Mann im grauen Anzug, weißen Hemd und grauer Krawatte. So geschniegelt und bekümmert, wie er wirkt, und so leise, wie er spricht, erinnert Kachelmann der Angeklagte erneut nicht an Kachelmann den Wettermoderator. Doch mit seiner ersten Antwort kehrt der Showmaster in ihm zurück.
    Richter Seidling hat gesagt: «Ihr erster Vorname ist Jörg.» Und dann gefragt: «Haben Sie weitere Vornamen?»
    Kachelmann antwortet: «Dem Jörg folgt ein Andreas.»
    Jörg Andreas Kachelmann verrät in weiteren Antworten noch sein Alter und dass er in Weissbad in der Schweiz wohnt. Doch schon bei der Frage nach dem Zivilstand macht er große Augen und zuckt mit den Schultern. Der Richter hilft ihm auf die Sprünge: «Geschieden?»
    «Ja.»
    «Was für einen Beruf haben Sie gelernt?», will Seidling wissen.
    «Ich habe mich», holt der Selfmade-Wetterexperte und Studienabbrecher aus, «immer als Meteorologe bezeichnet.»
    Der Richter fragt: «Sind Sie Geschäftsführer einer eigenen Firma?»
    «Nein.»
    «Sind sie Gesellschafter oder Inhaber?»
    «In der Schweiz wäre die schönste Umschreibung Verwaltungsratspräsident.»
    Der Richter will wissen, was diese schöne Umschreibung in Deutschland bedeutet.
    «Fällt mir nicht ein», behauptet der in Schaffhausen Eingebürgerte – als ob er gerade nicht wüsste, dass er im Land seiner Eltern Vorstandsvorsitzender eines Wetterdienstleisters wäre. Über seine Anteile am Unternehmen schweigt er sich aus. Als Seidling nach den Einkommensverhältnissen fragt, sagt er nichts.
    Verteidiger Birkenstock assistiert: «Geregelt.»
    Jörg Kachelmann hat damit, etwas störrisch zwar, angegeben, was er angeben muss. Ab sofort macht er vom Recht eines jeden Angeklagten Gebrauch, zu den Vorwürfen zu schweigen. Reinhard Birkenstock begründet dies damit, sein Mandant habe bereits kurz nach seiner Verhaftung umfassend zu den Vorwürfen Auskunft gegeben. Es gäbe, zumindest vorläufig, «nichts Weiteres zu sagen». An Stelle des Angeklagten werden neben Birkenstock der zweite Wahlverteidiger, Klaus Schroth aus Karlsruhe, und seine Pflichtverteidigerin Andrea Combé sprechen.
    Jörg Kachelmann starrt geradeaus,

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