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Die Akte Kachelmann

Die Akte Kachelmann

Titel: Die Akte Kachelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Knellwolf
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oder verlobt sei. Entschieden, fast spöttisch antwortet sie: «Nein».
    Sonja A. sagt vier Tage lang aus, zwanzig Stunden insgesamt. Währendessen leuchtet neben der bewachten Haupttür zum Gerichtssaal milchig die Anzeige: «Öffentlichkeit ausgeschlossen».
    Im «Kachelmann-Café» bilden sich Kaffeekränzchen. Auffallend viele rüstige Rentnerinnen spekulieren dort, im Gerichtsfoyer und auch in Internetblogs darüber, was sich in Saal 1 abspielt. Aus der Schweiz angereiste Kachelmann-Anhängerinnen haben sich mit deutschen Gleichgesinnten gefunden. «Jetzt werden ihre Lügen wie ein Kartenhaus zusammenbrechen», prognostiziert eine eifrige Eidgenossin beim Latte Macchiato. «Niemals», entgegnet eine Einheimische, «sie wird immer weiter lügen.»
    Am 27. Oktober, dem 13. Prozesstag, um 13.30 Uhr beendet Sonja A. ihren Aussagemarathon. Verteidiger Birkenstock spricht danach in die Mikrophone: «Sie hat uns dem Ziel der Rehabilitierung Kachelmanns sehr viel näher gebracht.» Staatsanwalt Oltrogge erwidert: «Ich halte das für Wunschdenken.»
    Wer Recht hat, können Außenstehende nicht abschätzen, denn durch den umfassenden Zeuginnenschutz ist das Verfahren längst zu einem Geheimprozess verkommen. Zwei Drittel der Aussagen finden ohne Publikum und Presse statt. Medien können so die Justiz nicht kontrollieren oder fundiert kritisieren, was in einem Rechtsstaat grundlegend wäre. Journalisten bekommen von der Verteidigung und der Anklage, die nichts nach draußen tragen dürfen, nur Interpretationen, dargestellt als Wahrheiten, zu hören.
    Im Fall Kachelmann läuft alles verkehrt: Während der Strafuntersuchung, eigentlich geheim, ist fast alles publik geworden, während des Prozesses, eigentlich öffentlich, bleibt das meiste geheim.
    Nur einmal in der ersten Prozesshälfte erhalten Medien und Zuschauer indirekt Informationen über die Wahrnehmungen einer der «Beziehungszeuginnen».
    Am Mittwoch, den 10. November 2010, sagt eine Frau mit Wuschelkopf und brauner Fellweste aus, bei der es keine Privat- und Intimsphäre zu schützen gilt. Denn sie begegnet Jörg Kachelmann im Gerichtssaal zum ersten Mal in ihrem Leben. Die Studentin bezeichnet sich als «beste Freundin» von Jana B., der Försterin aus Norddeutschland, die zwei Tage zuvor im Landgericht Aufsehen erregt hat. Jana B. habe, so wird Kachelmanns Anwalt Birkenstock berichten, «frech lächelnd» verneint, dass sie in Kontakt mit der «Bunten» stehe. Als er gedroht habe, «den Exklusivvertrag beschlagnahmen zu lassen», habe der Anwalt der Zeugin die vertrauliche Abmachung herausgerückt. Der Vertrag garantierte Jana B. 8500 Euro und der «Bunte Entertainment GmbH» einen weiteren «exklusiven» Bericht einer Kachelmann-Ex, den dritten bereits. «Ich war die Megazicke unter den Lausemädchen», heißt es zwei Ausgaben später inder Illustrierten. «Ich möchte meinen Seelenfrieden wiederhaben!», steht als Titel neben einem Bild der «selbstbewussten» Jana B. Ladylike blickt die Försterin die Leserinnen an. In Seide gehüllt schaut sie nicht mehr aus wie damals bei den wilden Auftritten, die ihr die deutsche Meisterschaft im Luftgitarrespielen einbrachten. Sie ähnelt auch nicht mehr der Umweltaktivistin, die sich an Bäume neben einer Allee bei Berlin kettete und hundertjährigen Spitzahorn vor der Kettensäge bewahrte.
    Ihre beste Freundin kennt Jörg Kachelmann nur aus dem Fernsehen und aus den vielen Erzählungen Janas. Die Studentin lächelt ihn an, als sie zwei Tage nach Jana B. in den Zeugenstand tritt. Kachelmann schaut ausdruckslos zurück. Jana B. habe Kachelmann Ende 2006 kennengelernt, weiß die Zeugin, und bis Anfang 2010 eine Beziehung zu ihm gepflegt. Die Studentin berichtet von einem Anruf Kachelmanns vom 9. Februar 2010, dem Tag nach der angeblichen Vergewaltigung, von der ihr Jana unmittelbar danach, «gegen Mittag» erzählt habe. Jörg Kachelmann, so habe sie vernommen, sei «ganz komisch gewesen» und «total bedrückt und fahrig», und Jana sei deswegen «verwirrt» gewesen. Nach dem «sehr kurzen Telefonat» habe Jana gedacht, «dass da irgendwas Dolles passiert sein muss»: «was mit den Kindern sei, irgendwas, das total an die Substanz geht». Sechs Wochen später, nach der Verhaftung, sei Jana zuerst «sehr erschrocken». Dann aber sei sie «erleichtert» gewesen, erzählt ihre Freundin, «weil sie verstand, was da wirklich los war». Jana habe immer gedacht, «dass da irgendwann die Bombe hochgeht». Sie habe immer

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