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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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benehmen.«
    »Und Sie wollen wirklich zu diesem Stelldichein
gehen, liebes Kind?« fragte Frau Alexandrine, »das
wäre ja eine furchtbare Unvorsichtigkeit, vielleicht will man
Ihnen eine Falle stellen.«
    »Was liegt daran?« entgegnete Nina
trübe, »ich bin so unglücklich, daß
mir alles gleichgültig ist.«
    Und ohne weitere Vorstellungen anzuhören, entfernte
sie sich.
    Kaum war Nina fort, als Fanferlot wie eine Bombe aus seinem
Versteck herausflog. Der sonst so sanfte und höfliche Mann war
hochrot vor Zorn und schimpfte wie ein Besessener.
    »Zum Henker, was ist denn das für eine
Wirtschaft! Da soll doch gleich das Donnerwetter dreinschlagen! Ist
denn der Erzengel ein Taubenschlag, daß man beliebig ein- und
ausfliegen kann! Ha, das ist unerhört, ein Dienstmann war da
und niemand hat ihn gesehen noch gehört ...«
    Er tobte so, daß seine arme Frau erschrocken dastand
und sich nicht ein Wort hervorzubringen getraute.
    »Und zu alledem,« fuhr er nach einer Pause
fort – denn er war so atemlos, daß er innehalten
mußte – »und zu alledem wollen Sie, Frau
Alexandrine, recht klug sein und bemühen sich noch, das kleine
Fräulein von dem Stelldichein abzubringen ...«
    Wenn Fanferlot böse war, sagte er
»Sie« zu seiner Frau, worüber sie stets
höchst unglücklich war.
    »Aber liebes Männchen ...«
    »Schweige! Begreifst du denn nicht, daß wenn
ich ihr folge, dies zu höchst wichtigen Enthüllungen
führen kann? Darum rasch, hilf mir, sie darf mich nicht
erkennen.«
    Im Nu hatte Frau Alexandrine ihrem lieben Männchen
eine Perücke aufgesetzt, während er sich selber einen
dichten schwarzen Vollbart anheftete. Sie half ihm eine Bluse anziehen
und reichte ihm eine alte fettige Mütze.
    »Hast du deine Karte und deine Waffen bei
dir?« fragte Frau Alexandrine besorgt.
    »Ja, ja,« entgegnete er hastig und eilte zur
Tür hinaus.
    Nina hatte zwar einen Vorsprung von zehn Minuten, da er aber
die Richtung, die sie einschlagen mußte, kannte und obendrein
im Laufschritt folgte, gelang es ihm, sie einzuholen, noch ehe sie den
bestimmten Platz erreicht hatte. Er sah, wie sie unschlüssig
war, wie sie vor Anschlagsäulen stehen blieb, als wollte sie
Theaterzettel lesen, und wie sie endlich zögernd doch in den
Omnibus-Warteraum ging und sich dort auf einer Bank niederließ.
    Einen Augenblick später trat Fanferlot ebenfalls ein
– doch da er trotz seines dichten Bartes fürchtete,
Gypsy könnte ihn erkennen, so setzte er sich abseits, wo sie
ihn nicht bemerken konnte.
    Der Warteraum hatte sich nach und nach gefüllt und
wieder geleert, fortwährend kamen und gingen Leute, die
Nummern verlangten oder umstiegen, und die Beamten riefen die
Bestimmungsorte der ankommenden Omnibusse ans.
    Niemand kümmerte sich um Nina und Fanferlot wurde
schon ungeduldig. Endlich erschien ein älterer, ziemlich
beleibter Herr, mit rotem freundlichen Gesicht und graublondem
Backenbart. Er ging geradeswegs auf Fräulein Gypsy zu,
grüßte sie und nahm neben ihr Platz.
    Der verkleidete Polizist verschlang ihn fast mit den Augen und
dachte: Dich, mein Lieber, werde ich schon wiedererkennen, wenn ich
dich nächstens treffe und heute noch muß ich
erfahren, wer du bist.
    Fanferlot vermutete, daß der Fremde ein Kaufmann oder
dergleichen sei, übrigens hatte er durchaus nichts
bemerkenswertes an sich. Leider konnte der arme neugierige Fanferlot
auch nicht ein Wort von dem hören, was die beiden miteinander
sprachen, so sehr er sich auch anstrengte; das Geräusch um ihn
her war zu stark, und er saß zu entfernt; er mußte
sich also damit begnügen, ihr Mienenspiel zu beobachten.
    Nina hatte, als der Fremde sie grüßte, so
erstaunt ausgesehen, daß leicht zu erraten war, daß
sie ihn nicht kannte. Der Unbekannte sprach dann sehr eifrig auf sie
ein und Nina schien bestürzt; sie schüttelte
wiederholt den Kopf und war dem Weinen nahe, endlich lächelte
sie und zuletzt hob sie die Hand wie zu einem Schwur.
    Fanferlot zerbrach sich den Kopf, was dies alles bedeuten
könne und ärgerte sich, daß er so
einfältig gewesen, sich so weit wegzusetzen.
    Eben versuchte er sich geschickt und unauffällig zu
nähern, als die beiden sich erhoben und weggingen. Fanferlot
folgte ihnen und sah, wie sie auf eine Droschke zugingen und einstiegen.
    So, jetzt habe ich euch, dachte der Polizist vergnügt
und als sich der Wagen in Bewegung setzte, lief er knapp hinter ihm
her. Die Pferde gingen im

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