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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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sei.
    Die Antwort lautete bejahend, der arme Mensch litt wohl
große Schmerzen, da er sich den Fuß gebrochen hatte,
war aber vollständig imstande, auszusagen.
    Nachdem die Förmlichkeiten, die Fragen nach Namen,
Alter, Stand und so weiter erledigt waren, hub der Richter an:
»Also Sie haben das Geld, das bei Fauvel gestohlen wurde, von
der Bank geholt?«
    »Ja.«
    »Können Sie sich erinnern, um wieviel Uhr
Sie zurückgekommen sind?«
    »Da ich mehrere Gänge hatte, war es ziemlich
spät geworden, es mag nicht weit vor fünf Uhr gewesen
sein!«
    »Erinnern Sie sich, was Herr Bertomy getan hat, als
Sie ihm das Geld überbrachten? Lassen Sie sich Zeit mit der
Antwort und denken Sie gut nach.«
    »O, ich erinnere mich ganz genau. Herr Bertomy
überzählte die Banknoten, machte vier
Päckchen, band sie zusammen und legte sie in die Kasse,
schloß dann ab und dann glaub' ich – ja ich
weiß es bestimmt, dann ging er fort.«
    »Sind Sie sicher, daß es sich so
verhält?« fragte der Richter eindringlich.
    Der feierliche Ton schüchterte den Diener ein.
    »Sicher?« sagte er unschlüssig,
»ich möchte meinen Kopf verwetten, daß es so
war, aber freilich eine andere Sicherheit habe ich nicht.«
    Er schien plötzlich Angst zu bekommen, daß
vielleicht nun der Verdacht ans ihn fallen könnte und es
fehlte nicht wenig, so hätte er seine Aussage widerrufen.
    Der Richter drang nicht weiter in ihn, aber als er fortging,
war seine Stirn sorgenvoll umwölkt, denn der Fall wurde immer
verwickelter und unklarer.

5. Kapitel
    Fanferlot hatte Nina Gypsy wirklich nicht zuviel gesagt, als
er behauptete, daß man im »Erzengel« gut
aufgehoben sei, besonders wenn man von ihm empfohlen war.
    Denn Frau Alexandrine war niemand anderes, als seine eigene
Frau und eine wirklich vorzügliche Wirtin. Sie nahm sich ihrer
Logirgäste wahrhaft mütterlich an, wie sie
überhaupt eine herzensgute Frau war. Sie hielt ihren Mann
für ein Genie und liebte und bewunderte ihn aufrichtig.
    Zur selben Stunde, als der Untersuchungsrichter ins Spital
fuhr, erwartete sie »ihr liebes Männchen,«
wie sie Fanferlot zu nennen pflegte, ungeduldig zum Essen. Sie war
immer besorgt, wenn er sich verspätete.
    Endlich erschien er.
    Sie fiel ihm zärtlich um den Hals und
begrüßte ihn, als ob er von einer weiten Reise
zurückkehre.
    »Ich bin todmüde,« sagte er, sich
losmachend, »ich habe stundenlang mit dem Kammerdiener des
Herrn Fauvel Billard gespielt – er hatte heute einen freien
Nachmittag – natürlich ließ ich ihn
gewinnen, obgleich er ein elendem Spieler ist und nun sind wir die
besten Freunde; wenn ich an Stelle des erkrankten Bureaudieners
eintreten will, wird er mich seinem Herrn wärmstens
empfehlen.«
    »Du denkst doch nicht im Ernste daran?«
fragte seine Frau erschrocken.
    »Wenn es notwendig sein sollte, gewiß; aus
dem Kammerdiener war nichts für mich Brauchbares zu erfahren;
seiner Schilderung nach ist sein Herr der reinste Tugendspiegel, ein
Millionär, der keine Passionen hat, der einfach
bürgerlich lebt, der seine Frau und seine Kinder
abgöttisch liebt! Ist das erhört?!«
    »Ist seine Frau noch jung?«
    »Nicht mehr besonders, da sie erwachsene Kinder
hat.«
    »Hast du über diese etwas
gehört?«
    »Ja, der Jüngere ist eben erst Offizier
geworden und liegt irgendwo in der Provinz in Garnison, der
Ältere, Lucian soll ein ebensolcher Ausbund an Tugenden, wie
sein Vater sein; dann ist noch eine Nichte da.«
    »Wenn du aus dem Kammerdiener nichts herausgebracht
hast, mein liebes Männchen, so ist das nur ein Beweis,
daß nichts herauszubringen war. Der Fall ist eben sehr
verwickelt und es wäre vielleicht doch gut, wenn du dich mit
Herrn Lecoq beraten wolltest.«
    Fanferlot, der während des Gesprächs
gemütlich seine Suppe gelöffelt hatte, fuhr auf, wie
von der Tarantel gestochen.
    »Du willst wohl, daß ich um meine Stelle
komme? Wenn er wüßte, ja, nur eine Ahnung
hätte, daß ich auf eigene Faust arbeite,
wäre ich verloren!«
    »Ei, du brauchst ihm ja dein Geheimnis nicht
preiszugeben, du horchst nur so beiläufig seine Meinung aus
und handelst ganz nach eigenem Gutdünken.«
    Fanferlot überlegte.
    »Es wäre vielleicht nicht schlecht, nur
– Lecoq ist verteufelt schlau, er wäre imstande,
mich zu durchschauen.«
    »Ei, laß ihn nur schlau sein, mein liebes
Männchen ist auch nicht auf den Kopf gefallen – ich
meine eben ihr beide zusammen würdet das

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