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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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Gypsys Geschichte
so ausführlich erzählt, er hoffte, Prospers
Leidenschaft werde zum Ausbruch kommen, zu seinem Erstaunen blieb
Prosper völlig kalt.
    »Gestehen Sie wenigstens, daß die Dirne an
Ihrem Verderben schuld ist,« drängte der Richter.
    »Das kann ich nicht gestehen, da es nicht der Fall
ist.«
    »Wie, wollen Sie leugnen, daß Sie allein im
vergangenen Monat 2000 Frank für Kleider und Schmuck
ausgegeben haben?«
    »Das leugne ich nicht, aber ich habe das Geld nicht
sinnlos und auf ihr Drängen, sondern aus freiem Antriebe und
völlig besonnen ausgegeben.«
    Der Untersuchungsrichter zuckte die Achseln.
    »Wollen Sie etwa auch behaupten, daß Sie
nicht jenem Frauenzimmer zuliebe Ihre jahrelange Gewohnheit, die Abende
im Hause Ihres Chefs zuzubringen, aufgaben?«
    »Ja, das leugne ich, es geschah nicht
ihretwillen.«
    »Warum aber hörten Sie plötzlich
auf, sich um die Nichte des Herrn Fauvel zu bewerben?«
    »Dazu hatte ich Gründe, die ich nicht
angeben kann,« antwortete Prosper und seine bis dahin feste
Stimme zitterte merklich.
    Also hier ist seine Achillesferse, dachte der Richter, laut
fragte er: »Sollte Fräulein Magda an Ihrer Entfernung
Schuld tragen?«
    Prosper schien erregt, doch er schwieg.
    »Sprechen Sie,« drängte der
Untersuchungsrichter, »dieser Umstand kann für Sie
von großer Bedeutung sein.«
    »Ich weiß, daß mein Schweigen meine
Lage nicht verbessert, allein – ich kann nicht
anders.«
    »Das Gericht läßt sich mit
Gewissensskrupeln nicht abfinden, es ist Ihre Pflicht, zu
reden.«
    Prosper antwortete nicht.
    »Sie schweigen? Sie beharren bei Ihrer Weigerung?
Nun, dann zu etwas anderem. Sie geben zu, daß Ihre Ausgaben
sich in dem einen Jahr auf 50 000 Frank beliefen, die Anklage spricht
zwar von 70 000 – indes – für den
Augenblick ist dies gleichgültig. Sagen Sie mir, was dachten
Sie zu tun, denn Ihre Mittel sind zu Ende, Ihr Kredit
erschöpft – was also wollten Sie beginnen? Die alte
Lebensweise konnten Sie nicht mehr fortsetzen.«
    »Ich hatte keine Pläne, ich dachte, es geht
so lange es eben geht und dann – –«
    »Und dann ist ja die Kasse da, nicht wahr.«
    »Aber Herr Untersuchungsrichter, wenn ich mich
wirklich an fremdem Gelde vergriffen hätte, wäre ich
doch nicht so dumm gewesen, wieder ins Bureau
zurückzukehren.«
    »Diesen Einwand erwartete ich; gerade dadurch,
daß Sie blieben und dem Sturm standhielten, beweist,
daß Sie nicht dumm handelten. Durchgehen wäre dumm
gewesen. Die Kassierer, die heute Gelder veruntreuen, haben von anderen
Prozessen her gelernt, daß das Durchbrennen ein
erbärmliches Mittel ist. Die Eisenbahn ist schnell, aber der
Telegraph noch schneller und nirgends in der Welt gibt es eine
Zufluchtsstätte. Amerika ist bei den Defraudanten
längst in Mißkredit, denn sie können den
Fuß nicht auf amerikanischen Boden setzen, ohne sofort
verhaftet zu werden. Nein, so dumm waren Sie nicht. Sie blieben und
sagten sich: Wahrscheinlich kann ich mich aus der Schlinge ziehen, wo
nicht, so gibt es im schlimmsten Fall einige Jahre Haft, dann aber habe
ich ein Vermögen.«
    »Wenn ich wirklich so gedacht hätte,
würde ich mich nicht mit 350 000 Frank begnügt,
sondern eine Gelegenheit abgewartet haben, um eine Million zu
stehlen.«
    »Das hätte Ihnen vielleicht zu lange
gedauert, die Gelegenheit war eben zu günstig.«
    Prosper antwortete nicht, er schien nachzudenken.
    »Eben fällt mir ein Umstand ein, den ich in
meiner Verwirrung ganz vergessen hatte, ich glaube, er kann zu meiner
Entlastung beitragen.« »Dann sprechen Sie.«
    »Ich glaube mich bestimmt zu erinnern, daß
ich das Geld in Gegenwart des Dieners, der es von der Bank gebracht
hat, in die Kasse einschloß. Er muß es gesehen haben,
in jedem Falle aber bin ich vor ihm weggegangen.«
    »Es ist gut,« entgegnete der Richter,
»ich werde den Diener verhören. Jetzt werden Sie in
Ihre Zelle zurückkehren, und wenn Sie meinen Rat befolgen
wollen, so werden Sie sich Ihre Sache noch einmal gut
überlegen.«
    Der Untersuchungsrichter hatte Prosper so rasch entlassen,
weil er einsah, daß die Aussage des Dieners von ungeheuerer
Wichtigkeit war und er vorerst in dieser Sache Klarheit haben wollte.
    Da aber dieser Diener krank war und nicht zum Verhör
kommen konnte, so fuhr Herr Pertingent mit einem Schreiber, um keine
Zeit zu verlieren, selbst ins Spital und frug den Arzt, ob der
Bureaudiener Antonin vernehmbar

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