Die Akte Nr. 113
scharfen Trab, aber Fanferlot hieß
nicht umsonst das Eichhörnchen, er blieb immer dicht am Wagen,
endlich, als ihm schon der Atem auszugehen drohte, erinnerte er sich
eines Kunststückchens, das er, als er noch ein kleiner
Gassenjunge war, oft ausgeführt hatte; er schwang sich an den
Federn auf, drückte sich an die Radachsen an und hielt sich in
der Schwebe.
So, lachte er vergnügt in seinen falschen Bart
hinein, jetzt fahr' zu, Kutscher, so schnell du willst!
Der Kutscher knallte richtig und fuhr ziemlich rasch durch ein
ganzes Gewirr von Gassen und Straßen und hielt endlich vor
einer Weinschenke. Der Kutscher stieg vom Bock und ließ sich
einen Schoppen bringen, Fanferlot war abgesprungen und lauerte auf das
Aussteigen der beiden Fahrgäste. Als er aber fünf
Minuten vergeblich gewartet hatte, wunderte er sich höchlich
und schlich heran, um einen Blick in das Innere des Wagens zu werfen. O
weh! Niemand saß darin!
Fanferlot war starr. Einen Augenblick lang wollte er seinen
eigenen Augen nicht trauen, dann aber machte sich sein Zorn in einigen
kräftigen Flüchen Luft.
»Angeführt!« Er, der geriebene
schlaue Polizist war so schmählich angeführt und
betrogen worden! Natürlich erriet er sogleich, wie das
zugegangen.
»Der Kerl,« sagte er sich, »ist mit
Nina bei einer Tür eingestiegen und bei der anderen hinaus.
Aber daß er sich dieser List bediente, beweist, daß
er kein gutes Gewissen hatte – folglich ...«
Er schloß seinen Gedankengang nicht, denn der
Kutscher hatte sich eben wieder auf den Bock geschwungen und zur
Abfahrt bereit gemacht. Fanferlot hoffte, durch ihn etwas zu erfahren,
aber der Kutscher maß ihn bei den ersten Worten von Kopf bis
zu Füßen und schwang die Peitsche dazu in so
beunruhigender Weise, daß der arme Sicherheitsagent gar nicht
daran dachte, sich zu erkennen zu geben, sondern sich aus dem Staube
machte.
Wie ein geschlagener Feldherr trat er betrübt den
Rückzug an; es war schon spät und er hatte einen
weiten Weg nach Hause, todmüde langte er endlich an.
Seine erste Frage lautete: »Ist die Kleine
zurück?«
»Nein, aber ein großes Paket ist
für sie gebracht worden.«
»Laß sehen,« sagte er und trotz
seiner Müdigkeit machte er sich stehenden Fußes
daran, den Inhalt des Paketes in Augenschein zu nehmen. Es enthielt
mehrere einfache Kattunkleider und weiße Häubchen,
wie sie die Dienstmädchen zu tragen pflegen.
Der Polizist war im höchsten Grade erstaunt, er
konnte sich nicht vorstellen, was diese Maskerade zu bedeuten habe und
seine Verstimmung nahm noch zu.
Er hatte sich zwar vorgenommen, seiner Frau nichts von der
erlittenen Schlappe zu erzählen, ihren besorgten teilnehmenden
Fragen konnte er aber um so weniger widerstehen, als er das
Bedürfnis fühlte, sich mitzuteilen. Das Abenteuer gab
beiden Ehegatten viel zu denken. Sie beschlossen, Ninas Heimkunft
abzuwarten, denn Frau Alexandrine hoffte, ihre hübsche
Mieterin, wie so oft, zum Reden zu bringen. Aber diesmal
täuschte sie sich. Auch sonst schien ihr Fräulein
Gypsy, als sie endlich kam, völlig verwandelt, zwar war sie
noch traurig, aber nicht mehr niedergeschlagen und mutlos.
»Ich war in großer Sorge um Sie, liebes
Kind,« begann Frau Alexandrine.
»Besten Dank, es war nicht nötig,«
entgegnete Nina, »bitte, hat man nichts für mich
gebracht?«
»Ja, ein großes Paket. Nun sagen Sie mir,
liebes Kind, haben Sie den Freund des Herrn Bertomy getroffen?«
»Ja und seine Vorschläge haben meine
Pläne so verändert, daß ich Sie morgen zu
meinem Bedauern verlassen muß, denn ich verreise.«
»Wie, morgen schon wollen Sie uns verlassen, ja, was
ist denn vorgefallen?«
»O nichts, was Sie interessieren
könnte,« entgegnete Nina kühl,
zündete ihre Kerze an der Gasflamme an, nahm ihr Paket,
wünschte »gute Nacht« und ging.
»Wie kommt dir das vor?« fragte Fanferlot,
der alles gehört hatte, als seine Frau zu ihm ins Nebenzimmer
trat.
»Es ist mir unbegreiflich; sie hat doch Herrn von
Lagors herbestellt und nun wartet sie seinen Besuch gar nicht
ab!«
»Sie wird vielleicht gehört haben, wer ich
bin und hegt nun Mißtrauen gegen uns.«
»Wer sollte ihr das gesagt haben; der Freund des
Kassierers?«
»Wahrscheinlich, das muß ein geriebener
Gauner sein, vielleicht ist er im Komplott, die Spitzbübin hat
sicher das Geld und will damit durchgehen.«
»Das glaube ich zwar nicht, aber, liebes
Männchen, da sich die
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