Die Akte Nr. 113
dich beinahe beneiden.«
»Es gefällt dir, wirklich, lieber Louis, du
wärst imstande dein nebliges Paris aufzugeben? O, dann schlag'
ein, bleibe bei mir. Zur Langweile ist keine Zeit, wir haben ja Arbeit
vollauf an unserem Hüttenwerk. Und wir wollen es
vergrößern, bauen, erfinden – ah, das soll
ein Leben werden! Bist du einverstanden, Louis?«
Louis schwieg. Vor einem Jahre noch hätte ihm dieser
Vorschlag mit Freude erfüllt. Das wäre ein Hafen
gewesen, nach so manchem Sturm und Schiffbruch und er wäre
kein Abenteurer mehr, nein, wieder ein Mensch geworden, wie
früher!
Aber jetzt war es zu spät. Mit Wut im Herzen
mußte er dies erkennen. Er war nicht frei, er hatte in Paris
ein schändliches Spiel angezettelt, das er nicht aufgeben
durfte, ohne Gefahr zu laufen mit den Gerichten in Konflikt zu geraten.
Und wenn er noch allein gewesen wäre, er hätte
einfach verschwinden können, aber – er hatte einen
Mitschuldigen!
»Du antwortest nicht,« sagte Gaston,
über Louis' Stillschweigen verwundert,
»gefällt dir mein Vorschlag nicht?«
»Dein Vorschlag gefällt mir wohl, aber
– ich bekleide in Paris eine Stelle und kann den Gehalt nicht
entbehren – – –«
»Louis, hast du mich denn nicht verstanden? Wie, du
botest mir eben die Hälfte des väterlichen Erbes und
nun – o, das ist schlecht von dir!«
»Aber Gaston, ich kann dir doch unmöglich
zur Last fallen.«
»Wie magst du nur so töricht reden! Habe ich
dir nicht gesagt, daß ich sehr reich bin? Dies
Hüttenwerk ist nur ein Bruchteil meines Vermögens,
ich besitze gute Staatspapiere und außerdem habe ich noch
Geschäftsverbindungen in Brasilien, vor kurzem erst bekam ich
von meinem Geschäftsfreund 400 000 Frank zugewiesen, von denen
ich nur 50 000 behoben habe.«
Louis zitterte vor freudiger Aufregung, endlich sollte er
erfahren, was er zu wissen wünschte.
»Du hast noch Geschäfte in
Brasilien?« fragte er.
»Ja, mit meinem ehemaligen Sozius und er hat mir
einen Bankier, namens Fauvel in Paris empfohlen, er soll ein sehr
ehrenwerter Mann sein.«
»Du kennst ihn nicht persönlich?«
fragte Louis ganz blaß vor Aufregung.
»Nein, noch nicht, aber ich hoffe baldigst seine
Bekanntschaft zu machen, ich beabsichtige nämlich, dich nach
Paris zu begleiten, wenn du hinfährst um deine Angelegenheiten
vor deiner Übersiedelung hierher in Ordnung zu
bringen.«
Louis fühlte sich bei dieser Mitteilung wie
vernichtet, aber er faßte sich gewaltsam und fragte scheinbar
ruhig: »Wie, du willst nach Paris, ich denke, du verabscheust
dieses Babel?«
»Allerdings, ohne die berühmte Hauptstadt zu
kennen, ist sie mir äußerst unsympathisch, mich
locken auch nicht ihre falschen Freuden – ich habe eine
ernste Pflicht zu erfüllen – – Nun ja, ich
will dir's gestehen, die Komtesse von Laverberie soll nach Paris
geheiratet haben – ich möchte sie wiedersehen
...«
Gaston schwieg einen Augenblick, dann fuhr er fort:
»Dir, Louis, kann ich es ja gestehen, ich habe ihr vor meiner
Flucht den Schmuck unserer Mutter anvertraut ...«
»Und den willst du jetzt
zurückfordern?«
»Ja, das heißt, es soll mir ein Vorwand
sein, um sie aufsuchen zu können, ich möchte sie
wiedersehen, weil – weil ich sie einst geliebt habe.«
»Wie denkst du sie aber ausfindig zu machen?«
»Das wird wohl sehr einfach sein, in der Heimat
dürfte man wohl den Namen ihres Mannes, vielleicht sogar ihre
Adresse kennen. Ich schreibe heute abend noch meinem alten Schulfreunde
...«
Als Louis endlich sein Zimmer aufsuchen konnte,
fühlte er sich wie niedergeschmettert, er versuchte seine
Gedanken zu ordnen und einen Plan zu entwerfen. Auf den ersten Blick
schien seine Lage äußerst verzweifelt.
Er hatte in dem Abenteuererleben, das er seit zwanzig Jahren
führte, manch schwere Stunde erlebt, aber immer vermochte er
die Klippen des Strafgesetzbuches zu umschiffen, und immer war es ihm,
selbst in den verwickeltesten Fällen gelungen, sich aus der
Schlinge zu ziehen. Aber jetzt sah er, daß er sich in eine
Sackgasse verrannt hatte und kein rettender Gedanke erleuchtete ihn
– es gab keinen Ausweg! Von allen Seiten drohte Gefahr:
Fauvel, Gaston, sie würden sich beide an ihm rächen,
sobald ihnen die Wahrheit bekannt würde, ja, selbst seinen
Mitschuldigen Raoul hatte er zu fürchten.
Die Begegnung zwischen Valentine und Gaston mußte um
jeden Preis verhindert werden, aber wie? – Er sann vergebens.
Weitere Kostenlose Bücher