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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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gelächelt haben, als durch den Sturz
seines Pferdes Gaston dem Verderben preisgegeben war. Gaston war
über den Besuch seines Bruders aufrichtig erfreut.
    »Nun bin ich doch nicht mehr einsam, nicht mehr fremd
in der Heimat,« sagte er, »nun habe ich einen Bruder,
einen Freund ... Aber sage mir nur, wie ist es dir gelungen, mich
aufzufinden?«
    Auf diese Frage war Louis gefaßt gewesen, und
während der langen Eisenbahnfahrt hatte er die Antwort
vorbereitet.
    Er erzählte, daß im Klub ein Herr, der eben
aus dem Pyrenäenbade Eaux-Chandes gekommen, erzählt
habe, er hätte dort von einem Marquis de Clamerau sprechen
hören. »Ich glaubte,« berichtete Louis
weiter, »irgend ein Abenteuerer habe sich unterstanden, sich
unseren Namen beizulegen und rasch entschlossen, bin ich
hierhergeeilt.«
    »Und an mich dachtest du nicht?«
    »Wie konnte ich? Seit dreiundzwanzig Jahren galtest
du für tot.«
    »Wie, du wußtest nichts von meiner Rettung?
Hat euch denn die Komtesse von Laverberie nicht benachrichtigt? Sie
versprach mir, den Vater aufzusuchen.«
    »Nein,« entgegnete Louis mit
betrübter Miene, »leider hat sie uns nichts wissen
lassen.«
    »Nichts,« rief Gaston erzürnt.
»Wie, sie konnte so grausam sein euch meinen Tod beweinen,
unseren armen Vater vor Kummer sterben zu lassen? Ach, sie hatte immer
eine Angst vor der Meinung der Welt und hat mich ihrem guten Ruf
geopfert.«
    »Aber warum hast du nicht geschrieben?«
    »Ich schrieb, bekam aber keine Antwort von euch, mein
Schulfreund Paul teilte mir mit, daß der Vater gestorben sei
und du Clameran verlassen habest.«
    »Ich verließ Clameran, weil ich dich
für tot hielt.«
    Gaston stand auf und ging im Zimmer einigemal auf und ab,
gleichsam als wollte er die tiefe Traurigkeit, die ihn
übermannt, abschütteln.
    »Genug,« sagte er nach einer Pause,
»lassen wir die Vergangenheit. Alle Erinnerungen, ob gute oder
schlechte, sind nicht so viel wert wie die kleinste Hoffnung und
– Gott sei Dank – die Zukunft ist unser!«
    Und sogleich begann er Zukunftspläne zu schmieden.
    »Wir bleiben beisammen,« sagte er,
»und trennen uns nicht mehr.«
    Der Diener kam mit der Meldung, daß die Abendmahlzeit
bereit sei und die Brüder begaben sich Arm in Arm in den
Speisesaal.
    Gaston war im Fragen, im Erzählen
unerschöpflich.
    Louis war in großer Sorge, ob Gaston nicht in
Clameran gewesen, aber zu seiner Beruhigung erfuhr er aus des Bruders
Munde, daß er die engere Heimat noch nicht aufgesucht hatte.
    Die Brüder waren bis in die späte Nacht
aufgewesen; von seinem vergangenen Leben hatte Gaston berichtet, aber
kein Wort über dasjenige gesagt, was Louis zu wissen
wünschte, er mußte sich also gedulden.
    Am nächsten Tag telegraphierte er an Raoul:
»Fasse Mut, alles geht gut.«
    Als er mit seinem Bruder wieder zusammentraf, gab er dem
Gespräch eine Wendung, die ihm Klarheit über die
Absichten Gastons geben sollte.
    »Wir haben bis jetzt über alles
mögliche gesprochen, Gaston, nur nicht über das
Geschäftliche.«
    Der Bruder sah ihn verwundert an.
    »Was meinst du damit?«
    »Ich meine die Erbschaftsangelegenheit. Da du
für tot galtest, so fiel mir alles zu, du hast nun ein Anrecht
auf die Hälfte ...«
    »Ach, bitte sprich nicht davon, die Sache ist ja
verjährt – übrigens weißt du,
daß der Vater nur einen Erben wünschte – es
bleibe also nach seinem Willen.«
    »Nein, Gaston, das kann ich nicht annehmen
...«
    »Warum? bist du so reich oder hältst du mich
für so arm?«
    Louis erschrak bei dieser Frage. Was sollte er antworten, um
sich nicht zu verraten?
    »Ich bin weder arm noch reich,« entgegnete
er leichthin.
    »Ich wäre beinahe froh, wenn du arm
wärst, damit ich die Freude hätte, mit dir zu
teilen.«
    Dieses Gespräch fand während des
Frühstücks statt; nach demselben lud Gaston Louis
ein, seine Besitzung zu besichtigen.
    Er zeigte ihm das schloßartige Haus, die
Wirtschaftsgebäude, die Stallungen, den schönen Park
und das in voller Tätigkeit befindliche großartige
Hüttenwerk.
    Und während sie alles besichtigten, Gaston
erklärte und erläuterte, schritt Louis finster und
einsilbig neben ihm her. Neid und Mißgunst fraßen an
seinem Herzen und der alte Haß gegen den Bruder erwachte
wieder aufs neue.
    »Nun, was sagst du? Habe ich gut gekauft?«
fragte Gaston heiter.
    »Gewiß, du hast dir das herrlichste Gut in
der schönsten Gegend der Welt ausgesucht. Man könnte

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