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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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Willensstärke, um die
Anstrengung, die der Dienst erforderte, zu ertragen. Aber des Nachts,
wenn er Wache hatte, da kamen die Gedanken und mit ihnen die Sorge um
die Zukunft. Er hatte Valentine versprochen, in drei Jahren als reicher
Mann wiederzukehren. Wie sollte er dies ersehnte Ziel erreichen?
    Es hatte nicht den Anschein, als ob »Tom
Johns« bald Valparaiso erreichen sollte, wenn er
überhaupt das Ziel hatte, denn der Kapitän sagte
lachend, sie wollten erst einmal einen Abstecher nach Guinea machen, um
eine Fracht »Ebenholz« zu holen.
    Mit dieser Bezeichnung meinte er Neger, denn der ehrenwerte
Herr Kapitän war ein Sklavenhändler!
    Als Gaston dies erfuhr, war er aufs äußerste
empört, aber er war klug genug zu schweigen, denn er sah ein,
daß er durch seine Worte den Kapitän nicht zum
Aufgeben seines unwürdigen Handels brächte,
überhaupt mußte er sich hüten, das Ansehen,
das er bei der Mannschaft und den Vorgesetzten genoß, aufs
Spiel zu setzen. Durch den alten Menoul wußten sie die
Geschichte von den ausgeteilten Messerstichen und der kühn
durchschwommenen Rhone und das imponierte ihnen. Der Kapitän
besonders gewann ihn um seines überlegenen Verstandes willen
lieb, und als der zweite Steuermann zufällig starb,
übertrug er Gaston dessen Stelle.
    Drei Jahre waren vergangen, als »Tom Johns«
endlich in den Hafen von Rio de Janeiro einlief und Gaston das Schiff
verlassen konnte.
    Der Kapitän hatte ihm seinen Gehalt ausbezahlt und so
besaß Gaston ein Vermögen von 12 000 Frank.
    Trotz der wilden Gesellschaft, in der er drei Jahre unter
allerlei Abenteuern und Gefahren gelebt, hatte er weder die Heimat noch
die Geliebte vergessen; sein erstes war es daher, als er ans Land kam,
einem vertrauten Freund zu schreiben und ihn zu bitten, Valentine in
Kenntnis zu setzen, daß er am Leben und seines Versprechens
eingedenk sei, er ließe sie bitten, sich noch zu gedulden. Er
schrieb auch seinem Vater und erwartete mit Ungeduld Nachrichten ans
der Heimat.
    Aber erst nach einem Jahr kam ihm die Antwort des Freundes zu.
Er erfuhr mit einem Schlage, daß sein Vater gestorben und
Louis außer Landes sei. Der Brief erhielt auch die Mitteilung,
daß er selbst wegen Totschlags zu mehreren Jahren
Gefängnis verurteilt worden und Valentine sich verheiratet
habe.
    Diese Nachrichten schmetterten ihn nieder. Heimatlos, entehrt,
und Valentine hatte ihn vergessen, verleugnet!
    Er war der Verzweiflung nahe, aber dann raffte er sich auf und
stürzte sich, um zu vergessen, in einen Strudel von Arbeit und
Spekulationen. Tausend Dinge unternahm er, er arbeitete in Bergwerken
und verkaufte Felle, er versuchte wilde Ländereien urbar zu
machen. Er hatte ungeheuere Summen gewonnen und wieder verloren, doch
ließ er sich nicht entmutigen, begann immer wieder aufs neue
und endlich, nach jahrelangem Ringen und Kämpfen war er ein
Millionär, dessen Gelder sicher angelegt waren.
    Die Sehnsucht nach der alten Heimat, die er so lange
bekämpft, erwachte in ihm aufs neue und er beschloß,
nach Frankreich zurückzukehren.
    Er hatte Erkundigungen eingezogen und sich vergewissert,
daß die Gerichte ihn nicht mehr verfolgen würden, und
so machte er denn einen Teil seiner Habe zu Geld und schiffte sich ein.
    Dreiundzwanzig Jahre waren seit seiner Flucht vergangen; nun
betrat er die Heimat wieder, aber er kam als Fremder und
fühlte sich unsäglich einsam und tieftraurig. Auch
der Klimawechsel taugte ihm nicht, er erkrankte und die Ärzte
sandten ihn in ein Pyrenäenbad.
    Die Gegend gefiel ihm überaus gut und als er genesen
war, beschloß er, sich dort dauernd niederzulassen. Da ihm die
Untätigkeit unerträglich war, so erstand er bei
Oloron ein Hüttenwerk und gab sich mit vollem Eifer dem
Betrieb seiner Eisenwerke hin.
    Eines Abends überbrachte ihm der Diener die Karte
eines Herrn, der ihn zu sprechen wünschte. Auf der Karte
stand: Louis von
Clameran .
    »Mein Bruder,« rief Gaston freudig erregt,
»mein Bruder,« und stürmte hinaus, dem
Ankömmling entgegen.
    Gaston bereitete seinem Bruder einen ungemein herzlichen
Empfang.
    Er lachte und weinte gleichzeitig als er ihn umarmte, ihm
immer wieder die Hände schüttelte, ihn unverwandt
betrachtete.
    »Du hast dich gar nicht verändert,
Louis,« sagte er, »ich habe dich sofort
wiedererkannt, an dem Ausdruck deines Gesichtes, deinem
Lächeln.«
    Louis lächelte in der Tat, so mochte er vielleicht
auch in jener Nacht

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