Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)
Abenddämmerung auf dem Flughafen Lod auf. Josef wurde von zwei Männern empfangen und zur Berichterstattung zu dem Obersten, der das Telegramm von Cormorant unterzeichnet hatte, in das Hauptquartier gefahren. Sie sprachen bis kurz vor 2 Uhr morgens, während ein Stenograph alles aufnahm. Dann lehnte sich der Oberst zurück, lächelte und bot seinem Agenten eine Zigarette an.
»Gute Arbeit«, sagte er. »Wir haben die Fabrik überprüft und die Behörden benachrichtigt – selbstverständlich anonym. Die Forschungsabteilung wird aufgelöst. Falls die deutschen Behörden nicht dafür sorgen werden, werden wir uns selbst darum kümmern. Aber sie werden es tun. Offenbar haben die Wissenschaftler gar nicht gewußt, für wen sie arbeiten. Wir wollen inoffiziell an sie herantreten, und sicher werden sich die meisten bereit erklären, ihre Aufzeichnungen zu vernichten. Sie wissen, daß die öffentliche Meinung in Deutschland, falls die Geschichte publik werden sollte, eindeutig für Israel Partei nehmen würde. Sie werden andere Stellungen in der Industrie bekommen und den Mund halten. Das wird auch Bonn tun – und wir ebenfalls. Wie wird sich Miller verhalten?«
»Genauso. Was ist mit den Raketen?«
Der Oberst blies eine Rauchwolke aus und sah durch das Fenster zu den Sternen am Nachthimmel hinauf.
»Ich glaube kaum, daß sie jemals abgeschossen werden. Spätestens bis zum Sommer siebenundsechzig muß Nasser seine Kriegsvorbereitungen abgeschlossen haben. Wenn die Ergebnisse der Forschungsarbeiten in Vulkans Fabrik vernichtet sind, werden es die Ägypter kaum schaffen, die Raketen vor dem Sommer siebenundsechzig mit dem benötigten Fernlenksystem auszurüsten.«
»Dann ist die Gefahr also vorüber«, sagte der Agent. Der Oberst lächelte. »Die Gefahr ist nie vorüber. Sie nimmt nur andere Formen an. Diese spezifische Gefahr mag gebannt sein. Die generelle besteht weiter. Wir werden noch mal zu kämpfen haben, und möglicherweise danach noch einmal, bevor sie wirklich vorüber ist. Aber wie dem auch sei – Sie müssen müde sein. Sie können jetzt nach Hause gehen.«
Er griff in eine Schublade und holte eine Kunststofftasche hervor, die persönliche Wertgegenstände enthielt, während der Agent seinerseits seinen gefälschten deutschen Paß, Geld, Brieftasche und Schlüssel auf den Tisch legte und sich in einem Nebenraum umzog. Die deutschen Kleidungsstücke ließ er dort zurück.
In seiner eigenen Identität, die er 1947 angenommen hatte, als er nach Israel gekommen und in die Palmach eingetreten war, fühlte sich der Agent bedeutend wohler.
Sein Vorgesetzter musterte ihn kritisch von Kopf bis Fuß und lächelte beifällig.
»Willkommen daheim, Major Uri Ben Shaul.«
Er nahm sich ein Taxi und ließ sich zu seiner Wohnung in einem Vorort der Stadt fahren. Er schloß die Haustür mit dem Schlüssel auf, den ihm der Oberst zusammen mit seinen anderen persönlichen Gegenständen ausgehändigt hatte.
In dem dunklen Schlafzimmer konnte er undeutlich erkennen, wie der gleichmäßige Atem seiner schlafenden Frau Rivka die dünne Bettdecke leise hob und senkte. Er schaute ins Kinderzimmer und trat an die Betten seiner beiden Söhne, des sechsjährigen Shlomo und des zweijährigen Dov.
Er wünschte sich nichts sehnlicher, als sich neben seine Frau zu legen und gründlich auszuschlafen, aber er hatte vorher noch etwas zu erledigen. Er stellte seine Reisetasche ab und zog sich leise aus und um. Rivka schlief ungestört weiter.
Er zog seine Uniformhose an, die wie immer gereinigt und gebügelt im Kleiderschrank hing, und schnürte sich die schwarzen halbhohen Rindslederstiefel zu. Das Khakihemd und die Feldjacke, die nur mit den schimmernden Stahlschwingen des Fallschirmjägerabzeichens geschmückt war, die er sich im Sinai und bei Kommandounternehmen jenseits der Grenze verdient hatte, vervollständigten seine Uniform. Dann setzte er sein rotes Barett auf, suchte eine Reihe von Gegenständen zusammen und steckte sie in eine kleine Reisetasche. Im Osten erschien bereits ein erster schwacher Lichtschein, als er aus dem Haus trat und zu seinem kleinen Wagen ging, der noch immer dort stand, wo er ihn einen Monat zuvor gegenüber dem Wohnblock geparkt hatte.
Es war erst der 26. Februar, aber die Luft war schon mild und versprach einen strahlenden Frühling.
Er verließ Tel Aviv in östlicher Richtung und bog in die Fernstraße nach Jerusalem ein. Er liebte die friedliche Stille in der Stunde der Morgendämmerung.
Weitere Kostenlose Bücher