Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
das Kind schon in den Brunnen gefallen, wenn also bereits jemand auf unnatürliche oder unerklärliche Art und Weise zu Tode gekommen war und eine Todesfallermittlung eingeleitet werden musste.
Vielleicht erklärte das seine notorisch schlechte Laune.
Jedenfalls erklärte es seine schlechte Laune an diesem Sonntagnachmittag. Hatte er doch den Bereitschaftsdienst heute nur übernommen, weil Kommissar Rath sich in Ostpreußen herumtrieb und die Inspektion A ohnehin über zu wenig Leute verfügte. Auch Raths Fall hatte er eigentlich nur aus diesem Grund übernommen, irgendeiner musste die Arbeit ja machen. Und dann hatten sie ihn auch noch, gleich nach dem Mittagessen, als er sich gerade für ein kleines Nickerchen hingelegt hatte, zu einem Todesfall gerufen.
Er wusste noch nichts Genaues, nur dass ein Polizeibeamter während seines Dienstes oben im Verkehrsturm gestorben war. Wahrscheinlich Herzinfarkt , dachte Böhm, als er seinen schweren Körper die schmale Leiter hinaufschob, und wegen so etwas muss unsereins zum Klettermaxen werden und dabei selbst einen Herzinfarkt riskieren.
Aber es half nichts: Wenn ein Polizist im Dienst starb, wurde immer ermittelt, so war das nun mal.
Eine helfende Hand streckte sich ihm entgegen, als er die Luke erreicht hatte. Kriminalrat Kronberg vom ED. Böhm rappelte sich hoch und schaute sich um. In dem engen Raum standen mehr Leute als vom Erbauer vorgesehen: Außer Böhm und Kronberg auch noch Doktor Karthaus, der gerade seine Arzttasche öffnete, und ein Schupo, einer mit den weißen Handschuhen und Ärmelstücken der Verkehrspolizei, der aus dem Fenster stierte und die Ampelanlage bediente und einen ziemlich aufgeregten Eindruck machte. Auf dem Boden lag ein toter Mann in derselben Uniform, nur etwas dicker und etwas älter als der Kollege an den Schaltern. Der Tote sah aus, als habe er es nicht mehr weit bis zur Pensionierung gehabt. So ein Pech, dann im Dienst tot umzukippen.
Draußen hupte ein Auto, und der Schupo an den Schalthebeln begann zu fluchen und zu lamentieren. »Mensch, die in der Stresemannstraße spielen immer noch verrückt! Aber ick kann doch jetze kein Dauergrün geben, nur weil die eben ’ne halbe Stunde Dauerrot hatten!«
Der Beamte wirkte hilflos, als warte er auf irgendwelche Anweisungen, die aber nicht kamen. Böhm hatte den Eindruck, dass der Mann nur deshalb so aufgeregt war, weil er das Verkehrschaos da draußen nicht in den Griff bekam, und nicht etwa wegen des toten Kollegen auf dem Fußboden.
Kronberg reichte dem Oberkommissar einen Dienstausweis und zeigte auf die Leiche.
»Wengler, Siegbert, Hauptwachtmeister. Geboren achtzehnachtzig in Danzig.«
Böhm nahm den Ausweis entgegen und nickte. »Sonst irgendwelche Erkenntnisse?«
»Warte noch auf die Kollegen.«
»Dann wird’s ja noch enger hier.«
Böhm stieg über Doktor Karthaus hinüber, der sich gerade zu der Leiche hinunterbeugte, und ging zu dem noch lebenden Verkehrspolizisten ans Schaltpult.
»Sie haben die Leiche gefunden?«, fragte er.
Der Mann nickte nur und stierte weiter aus dem Fenster. Neben dem Bedienen der Ampelanlage auch noch Fragen beantworten zu sollen, das schien ihn endgültig zu überfordern.
»Kannten Sie den Toten?«, fragte Böhm weiter.
Achselzucken.
»Mann, nun machen Sie mal anständig Meldung«, bellte der Oberkommissar ohne Vorwarnung los. »Name? Dienstgrad?«
Der Schupo nahm Haltung an und schlug vor Schreck sogar die Hacken zusammen. »Eckert. Unterwachtmeister Eckert, Herr Kommissar!«
»Oberkommissar.«
»Oberkommissar. Jawohl, Herr Oberkommissar.«
»Na sehnse! Geht doch!«
»Jawohl, Herr Oberkommissar.«
»Sind Sie die Ablösung von Herrn Wengler?«
»Melde gehorsamst: nein, Herr Oberkommissar!«
»Na, nun erzählense doch mal. Muss man Ihnen alles aus der Nase ziehen?«
»Jawohl, Herr Oberkommissar! Ich meine: nein, Herr Oberkommissar!« Der Schupo ließ den Verkehr aus der Leipziger Straße anhalten und schaltete die Stresemannstraße wieder auf Grün. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Er drehte sich wieder um zu Böhm. »Melde gehorsamst: Ich bin nicht die Ablösung, Schichtwechsel war schon vor über zwei Stunden. Eigentlich sollte Kollege Scholz hier Dienst tun, aber statt seiner finde ich hier den Kollegen Wengler. Tot.«
»Sie kannten den Toten also?«
»Nicht direkt, Herr Oberkommissar. Name und Dienstgrad kannte ich. War ’n ziemlicher Eigenbrötler.«
»Und wo ist der Kollege Scholz?«
»Mir nicht bekannt, Herr
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