Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
sogar in Berlin, obwohl diese Stadt schon so einiges gesehen hatte und sich nicht über Dinge wunderte, die andernorts zu Volksaufläufen führten.
Gar nicht zu sprechen von dem riesigen schwarzen Hund, der in der Tür stehen geblieben war, als wolle er niemanden hinauslassen, und Rath aufmerksam beobachtete, während er die Zunge aus dem Hals hängen ließ und hechelte.
»Herr Radlewski!« Rath versuchte es mit Freundlichkeit. Dass der Mann Hochdeutsch verstand, wusste er ja. Er lächelte. »Schön, Sie endlich kennenzulernen.«
Radlewski antwortete nicht, wortlos nahm er die Bücher vom Tisch, die Rath dorthin gelegt hatte, und packte sie zurück in den Sekretär oder wie man dieses seltsame Möbelstück auch nennen sollte.
»Sie haben mich aus dem Moor gerettet. Vielen Dank dafür.«
Radlewski warf ihm einen misstrauischen Seitenblick zu, während er die Tagebücher zurückstellte, direkt neben das Briefpapier. Das Einzige, was von ihm zu hören war, war ein mürrisches Brummen.
»Ich bin wach geworden und wusste nicht, wo ich war. Da bin ich auf Ihre Bücher da gestoßen. Dachte, da finde ich vielleicht irgendeinen Hinweis.«
Radlewskis Blick wanderte zwischen Rath und dem Schreibtisch hin und her. Das Misstrauen in seinem Blick wurde nicht kleiner, wenigstens aber seine Miene ein bisschen freundlicher. Oder besser gesagt: ein bisschen weniger unfreundlich.
»Entschuldigen Sie, ich hatte das Buch gerade erst geöffnet, als Sie hereinkamen«, log Rath.
Radlewski brummte irgendetwas und ging zur Feuerstelle. Er hatte den Blechteller mit dem abgenagten Knochen entdeckt. Wahrscheinlich hatte Rath ihm auch noch das Mittagessen weggefuttert. Radlewski nahm den Teller und schaute seinen Gast an.
»Ich habe das gegessen, entschuldigen Sie.« Rath fragte sich, ob er hier mit dem Entschuldigen wohl jemals wieder würde aufhören können. »Aber … ich hatte einen Bärenhunger. Wenn Sie wollen, bezahle ich Ihnen das. Überhaupt alle Unannehmlichkeiten, die Sie meinetwegen hatten. Wenn Sie mir denn sagen, wo meine Brieftasche ist.«
»Sie müssen nichts bezahlen, Sie sind mein Gast.« Tatsächlich kamen Worte mitten aus dem wilden blonden Bart. Radlewskis Stimme klang längst nicht so eingetrocknet, wie Rath vermutet hätte. Wahrscheinlich sprach er regelmäßig mit seinem Hund. Der wunderte sich jedenfalls nicht, sein Herrchen sprechen zu hören, blieb ruhig in der Tür stehen und starrte Rath an. »Ist genug für alle da. Hab noch mehr gefangen.«
»Gefangen?«
»Nur noch häuten und ausnehmen, dann können wir sie braten.«
Mit diesen Worten verschwand er vor die Hütte. Der Hund blieb in der Tür stehen. Rath zog es vor, sich nicht zu bewegen, das Tier beobachtete ihn unentwegt.
Es dauerte nicht lange, und Radlewski kehrte zurück. In seiner Hand hielt er einen Metallspieß, auf den drei dünne, verdächtig kleine Nagetiere mit langen Schwänzen hintereinander aufgespießt waren.
Rath erstarrte. »Sind das … Ratten?«, fragte er.
»Ratten?« Radlewski lachte. »Ja«, sagte er, »Ratten.«
Kichernd griff er in einen kleinen Sack und rieb die blutigen, gehäuteten Tierkadaver mit Salz ein.
Raths Magen machte kurz Anstalten zu rebellieren, beruhigte sich dann aber wieder.
»Besondere Ratten«, fuhr Radlewski fort und fachte ein kleines Feuer an. Sein giggerndes Kichern ging Rath langsam auf die Nerven. »Baumratten!«
»Baumratten?«
»Eichhörnchen«, sagte Radlewski und hängte den Spieß mit den drei Tieren in die Feuerstelle. Er schüttelte immer noch den Kopf und grinste amüsiert dabei.
Die Information ließ Rath schon ein wenig aufatmen, großartigen Appetit auf ein weiteres Eichhörnchen verspürte er dennoch nicht.
Doch Radlewski hatte ein Tier auch für ihn gebraten. Er legte eines auf den Blechteller und reichte es Rath.
»Essen«, sagte er, nahm ein zweites Tier vom Spieß und biss hinein. »Sie müssen essen. Waren krank.«
Rath betrachtete das gehäutete, gebratene Etwas auf seinem Teller, so dünn, dass es wirklich mehr an Ratte als an Eichhörnchen erinnerte, und nahm es in die Hand. Dann schloss er die Augen und biss hinein. Sein Magen protestierte nicht.
Die beiden Männer aßen eine Weile schweigend. Radlewski wollte ihm auch einen Teil des dritten Eichhörnchens anbieten, doch Rath lehnte dankend ab. Radlewski zuckte die Achseln und teilte sich das letzte Eichhörnchen mit seinem Hund.
»Warum sind Sie hier?«, fragte er unvermittelt, nachdem er gegessen hatte. »Was
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