Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
dieser Neger? Mehr wollte er doch eigentlich gar nicht wissen. Und warum sie nicht von ihm erzählte …
Er hatte sogar überlegt, einen Privatdetektiv anzuheuern, um Gewissheit zu erlangen über Charlys Privatleben, von dem Gedanken aber wieder Abstand genommen. Nicht nur, weil sämtliche Privatschnüffler, die er in Berlin kannte, ziemlich miese, halbseidene Typen waren, sondern auch, weil er sich seiner Eifersucht mit einem solchen Schritt endgültig ergeben hätte.
In der Inspektion A hatte wieder der ganz normale Alltag Einzug gehalten. So gesehen war Charly genau im richtigen Moment an ihren Schreibtisch zurückgekehrt. Und sie beschwerte sich auch nicht, sie hatte sich gefügt. Mit ihrer Kollegin verstand sie sich offenbar ganz gut, und niemand in der Inspektion G schien es ihr zu neiden, dass sie drei Wochen in der Mordinspektion hatte arbeiten dürfen.
Dreimal hatte Rath sich mit Charly in dieser Woche schon zum Mittagessen in der Kantine verabredet und es genossen, sich zusammen mit ihr sehen zu lassen, sie den Kollegen am Tisch als meine Verlobte, Fräulein Ritter , vorzustellen.
Vielleicht war es die Eifersucht, die ihn so eng an sie band, aber das war ihm egal, sie führten fast schon so etwas wie eine Ehe auf Probe, saßen abends beisammen, hörten Radio oder Platten und erzählten sich von ihrer Arbeit. Und behielten ihre Geheimnisse für sich. Aber vielleicht gehörte das ja dazu, zu einer Ehe. Er wollte versuchen, sich damit zu arrangieren, auch wenn es ihm schwerfiel.
Am Sonntag würden sie sogar gemeinsam wählen gehen, das hatte er ihr versprochen. Und wusste immer noch nicht, wo er sein Kreuz machen sollte. Es kam ihm ohnehin sinnlos vor: Letzten Endes würde doch wieder der alte Hindenburg bestimmen, wer Reichskanzler sein durfte. Und vielleicht war das auch besser so, der Alte würde jedenfalls niemals einen Nazi in die Regierung lassen, die waren unter seinem Niveau. Das Einzige, was Rath sich von den Wahlen erhoffte, war, dass die Stimmen für Nazis und Kommunisten wieder etwas sinken würden und damit hoffentlich auch die Häufigkeit der Straßenschlachten. Vielleicht würde die neue Regierung ja auch SA und SS wieder verbieten, damit das Leben in Berlin und anderswo in Preußen wieder halbwegs normal werden konnte. Dass sich die preußische Polizei nicht wieder nachsagen lassen musste, sie werde der Lage nicht Herr.
Aber mehr noch als all diese Fragen, viel mehr, interessierte ihn eine andere: Wer war dieser verdammte Neger?
Vielleicht sollte er das Gespräch am Wahlsonntag unauffällig auf die Nazis bringen und ihren dämlichen Rassismus. Gab es eigentlich deutsche Neger? Das wäre doch eine Frage, die man einfach so mal in den Raum stellen könnte.
Er wischte die Gedanken beiseite und wandte sich wieder der Akte auf seinem Schreibtisch zu. Die ganze Woche hatte er größtenteils damit verbracht, die Dinge, die er in Masuren erlebt hatte, in Berichtsform zu bringen. Er hasste diesen Papierkram. Aber jetzt war der Bericht endlich so weit, dass er ihn an Böhm weiterleiten konnte, ohne dass der ihm die Akte gleich wieder um die Ohren schlagen würde. So hoffte er jedenfalls.
Vielleicht war Böhm auch gar nicht mehr im Haus. Die meisten Kollegen jedenfalls hatte sich schon ins Wochenende verabschiedet, er war der Einzige in seinem Büro. Auch Charly hatte sich vor über einer Stunde schon verabschiedet, sie war mit ihrer Freundin Greta zu einem Einkaufsbummel verabredet.
Oder traf sich wieder mit …
Es war wie verhext: Wieder rotierten seine Gedanken um dieses Bild: Charly und dieser Mann an einem Fenstertisch im neuen Aschinger.
Das Telefon klingelte, und Rath war dankbar für die Ablenkung. Es war ein Anruf, auf den er die ganze Woche schon gewartet hatte.
»Kowalski«, sagte er. »Machen Sie drüben in Königsberg auch Überstunden?«
»Hatte diese Woche viel mit den Kollegen vom Einbruchsdezernat zu tun.«
»Und? Waren Sie erfolgreich?«
»Der Einbruch in unsere Uniklinik im Oktober dreißig …« Kowalski machte eine Pause, als müsse er sich erst vergewissern, dass niemand mithört. »Ich weiß jetzt, welche Einbrecherbande dahintersteckt. Die Kollegen konnten ihnen nichts nachweisen, sind sich aber sicher, dass Marczewskis Kolonne das Ding gedreht hat, war ganz deren Handschrift.«
»Marczewski?«
»So wird die Kolonne immer noch genannt, obwohl der Chef seit ein paar Jahren in Berlin lebt.«
»Polen-Paule.«
»Wie?«
»So heißt er hier. Hat einen
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