Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
Ringverein übernommen. Ist offensichtlich mit Alkoholschmuggel groß geworden.«
»Kann sein. Jedenfalls haben wir einen Spitzel in der Kolonne sitzen, und aus dem hab ich ein bisschen was herausbekommen können. Habe ihm das Foto gezeigt, das Sie mir geschickt haben, und er hat den Mann wiedererkannt.«
»Und?« Rath spürte, wie sein Jagdtrieb erwachte.
»Der Mann hat damals das Zeug aus der Uniklinik gekauft. Hat den Diebstahl eigens in Auftrag gegeben, wusste sogar, wo es zu holen war.«
»Interessant.«
»Ja, und das war nicht der einzige Auftrag an die Marczewski-Bande. Er wollte auch einen neuen Pass. Und die Adressen von vier Treuburgern, die nicht mehr in ihrer Heimatstadt lebten.«
»Lassen Sie mich raten: Diese vier Männer leben jetzt überhaupt nicht mehr?«
»So ist es.«
»Wussten die von der Kolonne, dass sie mit diesen Adressen einem Mörder seine Opfer sozusagen auf dem Silbertablett servierten?«
»Der Informant streitet das jedenfalls ab. Aber wenn Sie mich fragen: Die hätten zur Not auch ihre eigenen Großmütter verkauft, wenn Polakowski das verlangt hätte. Der Mann muss mehrere Tausend Mark auf den Tisch gelegt haben, einfach so. Da wird jeder Ganove schwach. Ich frage mich nur, woher ein entlaufener Sträfling so viel Geld hat.«
»Wahrscheinlich die Beute aus den Banküberfällen seines Zuchthauskumpels«, sagte Rath. »Vielen Dank, Kowalski, sehr gute Arbeit.«
»Danke, Herr Kommissar, jederzeit gerne. Aber da ist noch was, das Interessanteste hat unser Informant zum Schluss erzählt …«
»Und was?«
»Er war wieder da.«
»Wer?«
»Polakowski war noch einmal bei Marczewskis Kolonne. Letzten Sonntag. Er brauchte neues Tubocurarin. Und er hat es bekommen.«
Wilhelm Böhm saß noch an seinem Schreibtisch, war allerdings schon in Hut und Mantel. Er telefonierte.
»Halten Sie mal die Augen auf. Wahrscheinlich kommt er bald wieder zurück.«
Der Oberkommissar hängte ein.
»Was ist denn los?«, fragte Rath.
»Die Kollegen aus Danzig«, sagte Böhm. »Haben Gustav Wengler aus den Augen verloren. Irgendwo in einer Markthalle.«
»Na ja, kann passieren«, meinte Rath. Er legte die dicke Heftmappe auf Böhms Schreibtisch. »Apropos Wengler«, sagte er. »Mein Einsatz in Masuren. Der Bericht.«
»Na endlich.« Böhm zog die Mappe zu sich herüber und schlug sie auf. »Danke, Herr Kommissar. Wurde aber auch Zeit.«
Ein freundlicheres Dankeschön war von Wilhelm Böhm nicht zu bekommen.
»Ist ziemlich umfangreich«, sagte Rath. »Und ich hatte ja auch anderes zu tun.«
Er blieb stehen. Unschlüssig. Wusste nicht, wie er Böhm von Kowalskis Anruf berichten sollte. Ob er dem Oberkommissar überhaupt davon erzählen sollte.
Böhm, der die Akte flüchtig durchblättert hatte, schaute auf.
»Ist noch was, Herr Kommissar?«
»Ja. Und nein.«
Böhm runzelte die Stirn.
Rath nahm einen zweiten Anlauf. »Polakowski«, sagte er. »Ich glaube, er ist bereits in Treuburg und wartet dort auf Gustav Wengler.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Nur so ein Gefühl.«
»Dann lassen Sie den Wahrheitsgehalt Ihres Gefühls doch durch die örtlichen Polizeikräfte prüfen. In so einer Kleinstadt müsste jemand wie Polakowski doch schnell zu finden sein.«
»Mit Verlaub, Herr Oberkommissar, aber der Polizei in Treuburg traue ich nicht.« Rath zeigte auf seinen Bericht. »Steht alles dadrin. Polizeimeister Grigat würde ich glatt zutrauen, dass er Polakowski umbringt.«
»Ein Polizist, der mordet?«
»Wäre nicht das erste Mal. Wahrscheinlich würde er es als Notwehr verkaufen oder sagen, er habe Polakowski auf der Flucht erschossen. Grigat steckt jedenfalls mit Wengler unter einer Decke, und der hat kein Interesse daran, dass dieser Mann lebend in die Hände der Polizei fällt. Der einzige Zeuge in einem alten Mordfall.«
»Und ein mehrfacher Mörder.«
»Den man deswegen aber noch lange nicht der Selbstjustiz überlassen darf.«
»Hm«, machte Böhm und rieb sich das Kinn.
»Außerdem«, fuhr Rath fort: »Was macht das für einen Eindruck, wenn die Berliner Polizei aufgrund eines Gefühls um Amtshilfe bittet?«
»Es macht auch keinen guten Eindruck, wenn die Berliner Polizei aufgrund eines Gefühls eine teure Dienstreise unternimmt.«
»Wir haben Wochenende«, sagte Rath, »vielleicht kann man eine private Wochenendreise unternehmen.«
»Was haben Sie vor?«
»Vielleicht fahre ich noch einmal nach Treuburg. Aber diesmal privat.«
»Wollen Sie nicht wählen gehen morgen?«
»Es
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