Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
nehmen, wie sie kamen, und zuckte gleichgültig die Achseln. »Sie müssen det hier aber sichern«, sagte er. »Det mir keener in den Schacht plumpst.«
Rath nickte. »Da haben Sie recht. Wie wäre es, wenn Sie diese Aufgabe übernehmen, bis meine Kollegen eintreffen? Wo kann man denn hier telefonieren?«
»Dahinten. Da haben die Kellner ’n Aufenthaltsraum«, sagte der Blaumann. »Aber ick kann hier doch nich ewig warten, ich …«
Rath überhörte den Protest und trat durch die Tür, die der Mann ihm gezeigt hatte. Am Ende einer Reihe Spinde, vor denen vier, fünf Männer sich gerade umzogen, hing ein Wandtelefon. Rath zeigte einem Ober in voller Montur, der gerade telefonierte, seine Marke, doch der Mann tat so, als würde er den Kommissar überhaupt nicht sehen, im Ignorieren hatte er offensichtlich Übung. Berufsbedingt. Doch die hatte Rath auch. Er drückte die Gabel nach unten, bis die Verbindung abgebrochen war. Der Ober, der schon zu einem Protest hatte ansetzen wollen, schluckte seine Worte hinunter, als er Raths Gesicht sah.
Obwohl auch der ED sonntags nur in kleiner Besetzung im Präsidium die Stellung hielt, konnte Rath zwei Leute bekommen, die sofort rausfahren wollten.
Der Blaumann wirkte erleichtert, als der Kommissar zu den Aufzügen zurückkehrte. »Kann ick jetze wieder an meine Arbeit?«, fragte er.
»Solange Sie diesen Aufzug nicht anfassen, können Sie meinetwegen jede Arbeit erledigen, die Ihnen in den Sinn kommt.«
Der Blaumann trollte sich, und Rath zündete sich eine Zigarette an. Sein Blick fiel auf zwei schmale, hohe Fenster, die nach draußen führten. Eines stand einen Spalt offen. Kirie folgte ihm, als er hinüberging.
Er nahm ein Taschentuch und öffnete das angelehnte Fenster. Draußen erkannte er eine Art Galerie, einen Gang mit einer steinernen Brüstung, der das Gebäude säumte.
Er wollte gerade hinaussteigen, da hörte er jemanden hinter sich hüsteln und fuhr herum. Da stand, im leichten Sommeranzug, diesmal wie aus dem Ei gepellt und perfekt frisiert, Richard Fleischer, der Direktor von Haus Vaterland . Der Wachmann unten musste Alarm geschlagen haben, oder aber der Blaumann hatte schon gepetzt, dass man ihn den Aufzug nicht reparieren ließ.
»Herr Kommissar! Ich muss mich doch sehr wundern! Was machen Sie hier?«
»Meine Arbeit.«
»Gestern haben Sie unseren Betrieb aufgehalten, heute unterbinden Sie notwendige Reparaturarbeiten! Und dann schleichen Sie sich auch noch einfach so durch den Hintereingang.«
»Wäre es Ihnen lieber gewesen, ich hätte den Haupteingang genommen und mich dort laut und deutlich mit Mordkommission vorgestellt?«
Fleischer zog den Mund zusammen, als habe er in eine Zitrone gebissen. »Man muss solch einen Unfall ja nicht gleich an die große Glocke hängen.«
»Wie es aussieht, war es kein Unfall. Wir haben es mit einer vorsätzlichen Tötung zu tun. Und da, so viel kann ich Ihnen schon sagen, kann die Kriminalpolizei keinerlei Rücksicht auf irgendwelche Betriebsabläufe nehmen. Und auch nicht auf Ihren guten Ruf.«
»Aber wer sollte Herrn Lamkau töten wollen? Und dann in unserem Hause?«
»Haben Sie einen Verdacht?«
Fleischer schaute, als habe Rath ihn gefragt, ob er in seiner Freizeit gerne Strapse trage. »Natürlich nicht«, sagte der Direktor. »Sie glauben doch wohl nicht, dass einer unserer Mitarbeiter einen Lieferanten erschlägt.«
»Herr Lamkau wurde nicht erschlagen.«
Ein paar Kellner kamen vorüber, auf dem Weg in den Feierabend oder in die Pause, und schauten verwundert, als sie ihren Direktor dort vor den Lastenaufzügen stehen sahen, zusammen mit einem fremden Mann und einem Hund.
»Wie dem auch sei.« Fleischer senkte seine Stimme. »Mir wäre es jedenfalls lieber, wir würden unsere Unterhaltung, so sie denn nötig ist, in meinem Büro fortsetzen.«
»Tut mir leid, aber ich muss hier noch das Eintreffen der Kollegen abwarten.«
»Kollegen?« Die Aussicht auf noch mehr Polizisten in seinem Haus schien den Direktor nicht zu erfreuen.
»Spurensicherung«, sagte Rath nur und wandte sich wieder dem Fenster zu. »Wir müssen mögliche Fluchtwege des Mörders untersuchen.«
»Da geht’s auf die Galerie, da kommen Sie nicht runter auf die Straße. Höchstens an irgendeiner anderen Stelle wieder rein in das Gebäude.«
Rath bot Fleischer eine Zigarette an, und der griff zu. Gemeinsames Zigarettenrauchen, davon war der Kommissar fest überzeugt, war das beste Mittel, um Animositäten abzubauen oder
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