Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
Papiere fallen und fing so unvermittelt an zu schluchzen, dass Rath erschrak. Er erinnerte sich seiner Kinderstube und des blütenweißen Baumwolltuchs in seinem Jackett. Edith Lamkau nahm das Taschentuch dankend an und tupfte sich die nassen Augen.
»Frau Lamkau«, sagte Rath, als sie sich wieder beruhigt hatte, »inzwischen hat sich der Verdacht erhärtet, dass Ihr Mann keines natürlichen Todes gestorben ist.«
»O Gott! Hat ihn jemand umgebracht?«
Rath nickte mit betretener Miene.
»Wer?«
»Das versuchen wir herauszufinden, Frau Lamkau. Deswegen bin ich vorbeigekommen.« Er zeigte nach draußen, wo Nero gerade wieder gebellt hatte. »Sie sind gut bewacht hier. Hatte Ihr Mann Angst? Hatte er irgendwelche Feinde?«
Sie schüttelte den Kopf. »Herbert war nur um unsere Sicherheit besorgt. In unserer Gegend hat es zuletzt viele Einbrüche gegeben.«
»Wir haben im Kittel Ihres Mannes ein Kuvert mit eintausend Mark gefunden. Können Sie sich erklären, woher dieses Geld stammt?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Haben Ihre Kunden die Rechnungen denn in bar beglichen?«
»Einige vielleicht. Ich weiß nicht.«
»Dann müsste sich doch eine passende Rechnung zu diesem Betrag finden lassen. Wissen Sie, welche Kunden Ihr Mann gestern Morgen besucht hat? Gibt es eine Art Fahrtenbuch? Eine Lieferantenliste?«
Edith Lamkau zuckte die Achseln, und Rath glaubte ihr die Hilflosigkeit. Diese Frau wusste wirklich überhaupt nichts von den Geschäften ihres Mannes. Was für die Möglichkeit sprach, dass unter diesen Geschäften auch einige krumme gewesen sein mochten.
»Wie wäre es«, sagte er, »ich schicke Ihnen morgen früh ein paar Mitarbeiter vorbei, die kümmern sich um Ihre Papiere?«
Sie lächelte dankbar. »Das würden Sie tun?«
Rath nickte. »Sie müssen mir allerdings versprechen, dass Sie die Sachen jetzt in Ruhe lassen und die Tür verschließen, damit niemand sonst sich daran zu schaffen macht.«
»Aber selbstverständlich. Gerne!« Edith Lamkau schaute, als habe Rath ihr gerade eine schlimme Last von der Seele genommen.
6
Lieber Gereon,
jetzt bin ich zurück in Berlin, und wir verkehren immer noch überwiegend schriftlich … Du bist ja schwerer zu erreichen als der Polizeipräsident!
Mein Lieber, ich hätte Dich gerne noch mal gesehen, bevor wir uns morgen in der Burg unweigerlich über den Weg laufen. Vorerst gilt doch noch unsere alte Vereinbarung, nicht wahr? Kein Kollege sollte merken, daß wir uns etwas besser kennen, als es das kollegiale Verhältnis gebietet. Wäre mir wichtig, weißt Du … Ich habe morgen meinen ersten Tag, und ich glaube, es gibt ohnehin schon genügend Kollegen, die Frauen im Polizeidienst für deplaziert halten, denen sollten wir nicht auch noch Munition liefern, indem wir im Dienst zu vertraut miteinander tun; Du weißt, wie schnell die Gerüchteküche in der Burg so eine Sache hochkocht.
Aber davon abgesehen sollten wir uns möglichst bald sehen und miteinander reden, finde ich. Immerhin schulde ich Dir noch eine Antwort.
Verzeih, daß ich Kirie im Stich gelassen habe, aber sie schien den netten Portier schon ganz gut zu kennen, und ich wollte den Hund nicht einfach entführen, auch wenn er bestimmt brav mit mir gegangen wäre. Aber raus aus Deiner Wohnung mußte ich, ich hoffe, Du verstehst das und bist mir nicht böse. Ich bin wohl nicht dafür gemacht, stundenlang auf einen Mann zu warten, daran solltest Du Dich gewöhnen.
Inzwischen jedenfalls bin ich ganz gut wieder angekommen in Berlin. Du glaubst gar nicht, wie viele Leute mich schon besucht haben in der kurzen Zeit. Und die Krause vom Gemüseladen um die Ecke hat mich auch gleich wieder angeschnauzt – »Watse anfassen, müssense ooch koofen!« –, als wäre ich nie weg gewesen. Schon herrlich, wie Berlin sich freut, mich wiederzuhaben.
Fühl Dich tausendmal gedrückt
C.
Er faltete den Brief zusammen und steckte ihn zurück in den Umschlag, dann holte er ihn wieder heraus und las ihn noch einmal. Viertel nach sieben. Eine Zigarettenlänge hatte er noch Zeit, bevor er hinübergehen musste ins Präsidium und in den Konferenzsaal. Er zündete sich eine Overstolz an und öffnete das Seitenfenster. Rath hatte den Buick direkt an den Stadtbahnbögen geparkt und konnte sehen, wie die Kollegen von allen Seiten in die Burg strömten.
Er kramte das Tablettenröhrchen aus dem Mantel und warf vorsichtshalber noch ein Aspirin ein, das er mit einem Schluck aus seinem kleinen silbernen Flachmann hinunterspülte.
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