Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
Kriminalsekretär ernst nimmst, oder wie meinst du das?«
»Hat Lange die Angehörigen benachrichtigt?«, fragte Rath.
Gräf nickte. »Der Mann hat eine Witwe hinterlassen. Die Lamkaus wohnen direkt neben ihrer Firma in Tempelhof.«
»Wie viele Mitarbeiter?«
»Ein gutes Dutzend.«
»Also stellt sich die Frage, warum der Chef selbst rausgefahren ist für so eine Lieferung.«
»Es stellen sich noch verdammt viele Fragen. Ich habe die wichtigsten Zeugen für Montagmorgen in die Burg bestellt.« Gräf leerte sein Bierglas und stellte es ab. »Es war heute nicht sehr hilfreich, dass der Direktor überall herumwirbelte, das hat die Mitteilsamkeit seiner Leute nicht gerade erhöht. Ich denke, dass wir mehr erfahren, wenn wir sie im Vernehmungsraum sitzen haben.« Er rutschte von seinem Barhocker. »Vielleicht kommen wir dann auch dahinter, warum Lamkau einen Umschlag mit tausend Mark mit sich führte.«
»Tausend Mark?«
»Waren in seinem Kittel.«
Rath wollte gerade etwas sagen, doch dann sah er Gräfs Gesicht und ließ es bleiben.
»Der ED hat das Geld«, fuhr der Kriminalsekretär fort, »untersucht den Umschlag auf Fingerabdrücke.«
»So eine Stange Geld, was wollte er bloß damit?«
Gräf zuckte mit den Achseln.
»Na«, meinte Rath, »dann wissen wir jetzt ja wenigstens eines …«
»Und das wäre?«
»Dass wir«, sagte Rath und grinste, »Raubmord definitiv ausschließen können.«
5
I nstitut für gerichtliche Medizin der Universität Berlin stand auf dem Messingschild an der Backsteinmauer, in der Einfahrt parkte ein Leichenwagen. Die passende Einstimmung auf das, was hinter diesen Mauern wartete.
Schon auf der Außentreppe meldete sich das flaue Gefühl in seinem Magen zurück; keine gute Voraussetzung, um das Leichenschauhaus zu betreten, in dessen kalten Katakomben meist unappetitliche Überraschungen warteten.
Der Anruf von Doktor Karthaus hatte Rath an diesem Morgen aus dem Bett geworfen. Dummerweise hatte er, nachdem Gräf sich zum Dienst verabschiedet hatte, weitergetrunken gestern Abend, war noch für ein paar Bierchen im Dreieck geblieben und danach vorsichtshalber mit dem Taxi nach Hause gefahren, hatte dort angekommen aber feststellen müssen, dass er immer noch zu nüchtern war, um die Einsamkeit seiner Wohnung zu ertragen, die noch leerer geworden war, seit Charly hier aufgetaucht und wieder gegangen war. Also hatte er brav am Alex angerufen, mitgeteilt, wo er die nächsten Stunden telefonisch zu erreichen wäre, ganz den Vorschriften entsprechend, hatte Kirie in der Obhut des Nachtportiers gelassen und war dann die Uhlandstraße hinuntergegangen zum Ku’damm, hatte sich dem Swing des Kakadu überlassen und dem Getränkeangebot der gut sortierten Bar, hatte den Avancen einer abenteuerlustigen Blondine widerstanden und versucht, nicht an Charly zu denken. Was ihm auch in dieser Umgebung nicht besonders gut gelungen war. Immerhin hatten die Cocktails ihn betrunken gemacht, betrunken genug, um weit nach Mitternacht wieder nach Hause zu gehen und endlich Schlaf finden zu können.
Bis ihn das schrille Klingeln des Telefons geweckt hatte.
»Ich habe da etwas entdeckt, das ich Ihnen zeigen möchte«, hatte Karthaus gesagt und ihn für zwei Uhr in die Hannoversche Straße bestellt.
Rath hatte dem Hund zu fressen gegeben, selbst aber nichts gegessen, sondern nur Kaffee getrunken und geduscht, bevor er sich mit Kirie auf den Weg gemacht hatte. Erst vor der Tür war ihm eingefallen, dass das Auto noch in Kreuzberg stand, und er war die Hardenbergstraße hinuntergegangen zum Bahnhof Zoo.
Dennoch war es erst kurz vor zwei, als sie das Leichenschauhaus betraten. Der Pförtner kannte Hund und Kommissar, er nahm Kiries Leine und machte das Tier mit einem Happen von seiner Salamistulle gefügig. »Doktor wartet unten«, sagte er und winkte den Kommissar durch in den Keller, wo die Gerichtsmediziner ihre Leichen bearbeiteten. Rath hielt seinen Blick gesenkt, das schwarz-weiße Karomuster des Fußbodens hatte eine beruhigende Wirkung auf seinen Magen. Als er unten durch die große Schwingtür in den Obduktionssaal trat, fand er Doktor Karthaus an seinem Schreibtisch in der Ecke, eine dampfende Tasse Kaffee und eine Aktenmappe vor sich, in die er irgendwelche Notizen eintrug.
Der Gerichtsmediziner blickte auf und runzelte die Stirn über seiner Lesebrille.
»Herr Kommissar! Heute ungewohnt pünktlich!«
»Wie die Maurer!«
Der Doktor klappte seine Brille zusammen und zündete sich eine
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