Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
Misstrauen.
»Ich habe den Eindruck, Ihr Gebäude wird gut bewacht«, sagte er, als er dem Direktor Feuer gab.
»O ja, unsere Wachen sind auf Zack.«
»Wo, würden Sie sagen, gibt es denn eine Möglichkeit, unbemerkt hinaus- oder hineinzukommen?«
»Nirgends, würde ich sagen.« Fleischer zog an seiner Zigarette und machte eine Kopfbewegung zum offenen Fenster hin. »Außer vielleicht, Sie sind Fassadenkletterer.«
Rath nickte nachdenklich. »Wie viele Menschen arbeiten hier? Zweihundert? Dreihundert?«
»Dreihundert?« Der Direktor lächelte mitleidig. »Allein im Service sind an die vierhundert Kellner beschäftigt, dann in der Zentralküche oben achtzig Köche und hundertzwanzig Hilfskräfte. Wir bewirten rund eine Million Gäste im Jahr. Alles in allem arbeiten rund um die Uhr fast elfhundert Menschen für uns. Wir sind wie eine kleine Stadt, wenn Sie so wollen, wir haben sogar eine eigene Müllverbrennung.«
Rath ließ sich von den Zahlen nicht beeindrucken. »Bei so vielen Mitarbeitern kennen Sie wohl nicht jeden persönlich.«
»Natürlich nicht.«
»Wie viele waren gestern Morgen im Einsatz, als Herr Lamkau ermordet wurde?«
Fleischer zuckte die Achseln. »Das müssten Sie doch besser wissen, Sie haben alle zusammengetrommelt. Fünfzig, sechzig vielleicht, wenn Sie das technische Personal mitzählen. Und das Wachpersonal. Vom Service war ja noch kaum jemand da.«
Ihr Gespräch wurde gestört, als eine Tür aufflog und zwei Männer in grauen Kitteln aus dem Treppenhaus kamen. Rath erkannte die Erkennungsdienstler sofort und zeigte ihnen die zerbeulte Aufzugtür. »Und dann schauen Sie sich mal das Fenster dort drüben an, ob Sie an den Griffen Fingerabdrücke sichern können. Und ob man draußen auf der Galerie vielleicht irgendwelche Spuren findet.«
Die Männer nickten, packten ihren Koffer aus und machten sich an die Arbeit. Rath schaute ihnen eine Weile zu.
»Was gedenken Sie denn, dort zu finden?«, fragte der Direktor schließlich.
»Aufschlüsse über den Fluchtweg des Mörders«, sagte Rath, »und vielleicht sogar Hinweise auf seine Identität.«
»Ich hoffe nur, Sie machen nicht allzu viel Aufhebens von der Sache. Mein Haus kann keine schlechte Presse gebrauchen.«
»Haben Sie in Ihrem Haus auch eine medizinische Abteilung?«
Fleischer schaute überrascht. »Einen Erste-Hilfe-Raum«, sagte er schließlich. »Mit mehreren Liegen. Für Notfälle. Warum fragen Sie?«
»Werden dort Medikamente aufbewahrt? Injektionsspritzen?«
»Sicher. Soll ich Ihnen eine Liste zusammenstellen lassen?«
Rath lächelte. »Gerne. Am besten noch heute. Und lassen Sie sämtliche Medizinschränke von einer Person Ihres Vertrauens überprüfen. Wir müssen wissen, ob etwas fehlt.«
Der Direktor nickte nun wie ein gehorsamer Schuljunge.
»Kannten Sie Herrn Lamkau?«, fragte Rath unvermittelt. »Persönlich, meine ich.«
»Nein.« Fleischers Antwort kam prompt. »Ich habe ihn gestern zum ersten Mal gesehen.«
»War denn jemand Ihrer Mitarbeiter privat mit dem Toten bekannt?«
»Nicht dass ich wüsste, aber bei einer so großen Zahl an Mitarbeitern kann ich das selbstverständlich auch nicht ausschließen.«
»Was mich wundert, ist, dass Herr Lamkau persönlich ausgeliefert hat. Und dann um diese Tageszeit.«
Fleischer zuckte die Achseln und drückte seine Zigarette aus. »Das kommt vor, dass die Inhaber selbst rausfahren. Und die Lieferzeiten, das schwankt immer sehr, je nachdem wie die Lieferanten ihre Touren legen. Aber dazu müsste Ihnen Herr Riedel mehr sagen können.«
»Herr Riedel«, wiederholte Rath und zückte seinen Block.
Der Direktor nickte. »Alfons Riedel. Einer unserer Einkäufer.«
»Ist Herr Riedel im Hause?«
»Tut mir leid.« Der Direktor lächelte. »Wir haben Sonntag, da arbeitet der Einkauf nicht.«
»Gut, dann komme ich morgen wieder«, sagte Rath. »Sagen Sie Herrn Riedel doch bitte Bescheid.«
Direktor Fleischer lächelte immer noch, machte dabei aber ein Gesicht, als habe er schlimme Zahnschmerzen.
Die Firma Lamkau hatte ihren Sitz in Tempelhof, direkt am Kanal. Das Firmengebäude machte einen aufgeräumten Eindruck, die Lieferwagen, die ordentlich in Reih und Glied auf dem Hof standen, rund ein halbes Dutzend, wirkten, als habe man sie eben erst einer gründlichen Autowäsche unterzogen. Rath parkte direkt neben einem der blitzeblank in der Sonne glänzenden Fahrzeuge. Sein vom Sommerstaub stumpfer Buick, den er eben in Kreuzberg abgeholt hatte, wirkte wie ein
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