Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
Glied. Die meisten grinsten nervös, Lange hatte einen roten Kopf bekommen, Charly jedoch, die neben der blonden Frau stand, schaute mit einem selbstbewussten Lächeln in den Saal, mit einem Lächeln, das Rath ein wenig zu freundlich erschien für diese ungehobelte Männerhorde.
Der Vize fuhr fort mit dem üblichen Sermon, man möge die Kommissaranwärter im Dienstalltag gut behandeln und ihnen hilfreich zur Seite stehen, und schloss mit dem Scherz, den er immer an dieser Stelle brachte: »Denken Sie daran: Einer dieser Herren könnte in einigen Jahren möglicherweise Ihr Vorgesetzter sein.«
Die Beamten lachten pflichtschuldig, obwohl die meisten im Saal diesen Satz schon mehr als einmal gehört hatten. Und niemand wunderte sich darüber, dass Weiß die beiden Damen ausschloss. Denn so waren die Realitäten: Sollten Charly oder ihre Kollegin auch noch so viel Karriere machen, nie würden sie aus der Inspektion G herauskommen, niemals würde eine von ihnen, und sollte sie noch so fähig sein, einem Mann Befehle erteilen. Jedenfalls nicht in der Burg, höchstens im Privatleben.
»Es freut mich ganz besonders«, sagte Weiß, als die höflichen Lacher verklungen waren, »Ihnen dieses Mal auch wieder zwei Damen vorstellen zu können, zwei Kommissaranwärterinnen, die unsere Inspektion G verstärken werden.«
So also sah Charlys berufliche Zukunft bei der Berliner Polizei aus: die Inspektion G, die weibliche Kriminalpolizei, die sich überwiegend mit Jugendkriminalität und straffällig gewordenen Frauen herumzuschlagen hatte. Dabei wäre sie bei kniffligen Mordermittlungen sicherlich sinnvoller eingesetzt, aber in die Inspektion A würde sie nie mehr zurückkehren, es sei denn, sie finge wieder als Stenotypistin an.
»Mensch, den beiden Süßen da würde ich auch gerne mal was beibringen«, hörte Rath jemanden in der Nähe murmeln, dessen Stimme ihm bekannt vorkam, »und ich wüsste auch schon was. Die Dunkelhaarige ist ein scharfes Gerät, was, was, meine Herren?«
Rath reckte den Hals, doch er konnte nicht genau ausmachen, woher und vom wem der Satz gekommen war. Er spürte, wie die ohnmächtige Wut zurückkehrte, die er vorhin schon gespürt hatte, zumal ein paar Kollegen diesen Satz sogar mit verhaltenem Lachen kommentiert hatten. Konnten diese Drecksäcke denn nicht einmal das Maul halten? Konnten sie natürlich nicht. Die Polizei, das war ein Männerverein, Frauen wirkten da wie Fremdkörper. So gesehen war Rath froh, dass Charly in der Inspektion G nur noch mit ihresgleichen zusammenarbeitete und sich nicht mit Lästermäulern dieses Kalibers würde herumschlagen müssen.
Er hatte nicht mehr so genau hingehört, am lauter werdenden Grummeln im Saal aber merkte Rath, dass Doktor Weiß die Sitzung offenbar beendet hatte. Im Strom mit den Kollegen ließ er sich treiben und strebte langsam dem Ausgang entgegen. Er hatte die Tür fast erreicht, da merkte er, wie Kirie mit einem Mal heftig an der Leine zerrte. »Fuß«, zischte Rath, doch der Hund reagierte nicht, er winselte und legte sich noch kräftiger ins Geschirr.
Rath sah einen mausgrauen Damenhut wenige Meter vor sich in der Menschenmenge und begriff endlich, was da los war: Der verdammte Hund hatte Witterung aufgenommen und Charly erkannt, er wedelte wie verrückt mit dem Schwanz, zog immer heftiger an der Leine, sodass Rath ihn kaum noch halten konnte, und ließ plötzlich ein ebenso kurzes wie lautes vorwurfsvolles Wuff hören, als wolle er sagen: Nun lass mich doch endlich zu ihr!
Sämtliche Augen drehten sich um zu Hund und Herrchen, auch Charlys Scheinwerfer strahlten sie an. Er sah, wie sie grinste, als sie ihn und den Hund erkannte, und wie dieses Grinsen erst einfror und dann verschwand, als sie merkte, was da los war. Kirie war nun fast bei ihr und ließ sich kaum noch halten. So ein ausgewachsener Bouvier war stark, Kirie war längst nicht mehr das süße, kleine Fellknäuel, das sie einmal gewesen war. Charly konnte nicht länger mit ansehen, wie sich das Tier quälte, und machte einen Schritt auf den Hund zu, streichelte ihn und ließ sich die Hände ablecken.
Nach einer ausgiebigen Begrüßung hatte Kirie sich beruhigt, und Rath konnte den Hund wieder zu sich hinüberziehen. »Pfui«, sagte er, schimpfte mit dem Zeigefinger und ließ Kirie Sitz machen. Er stand Charly jetzt genau gegenüber und traute sich kaum, ihr in die Augen zu schauen. Er bemerkte ihr Grübchen und dann die neugierigen Blicke der Umstehenden. So
Weitere Kostenlose Bücher